Gleichzeitig findet in Ägypten die jährliche UN-Klimakonferenz statt – inzwischen die 27. Festgestellt wird dort wie auch bei den vorherigen Konferenzen, dass die Ziele, die sich die Länder gestellt haben in der Summe nicht ausreichen, um das Ziel der Pariser Klimakonferenz von 2015 zu erreichen. Die globale Klimaerwärmung wird nach bisherigem Stand der Dinge im Jahr 2100 wohl etwa 2,4 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau betragen. Erste Stimmen aus der Klimaforschung bekennen, dass das 1,5-Grad-Ziel wohl nicht mehr erreichbar ist, egal welche Anstrengungen unternommen werden.
Das trifft explizit auch auf die Nicht-Erreichung der Klimaziele in Deutschland zu. Im Zweijahresgutachten 2022 des Expertenrates für Klimafragen lautet die zentrale Aussage „Zielerreichung 2030 fraglich ohne Paradigmenwechsel“.
Auf der anlässlich der Vorstellung des Gutachtens stattgefundenen Pressekonferenz sagte der Vorsitzende des Expertenrates, Hans-Martin Henning:
„Wir sehen, dass ein nahezu kontinuierlicher Zuwachs der Aktivitäten in allen Sektoren einschließlich Rebound-Effekten einer technisch möglichen stärkeren Absenkung der Emissionen entgegenwirkte […] Effizienzgewinne wurden also beispielsweise durch das allgemeine Wirtschaftswachstum, größere Wohnfläche oder gestiegene Transportleistungen konterkariert.”
Ratsmitglied Thomas Heimer äußerte:
„Die jährlich erzielte Minderungsmenge müsste sich im Vergleich zur historischen Entwicklung der letzten 10 Jahre mehr als verdoppeln. Im Industriesektor wäre etwa eine 10-fache und bei Verkehr sogar eine 14-fache Erhöhung der durchschnittlichen Minderungsmenge pro Jahr notwendig.“
In der im Gutachten durchgeführten Analyse der Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit „[…] werden die Jahre von 2000 bis 2021 betrachtet, in denen eine Treibhausgasemissionsminderung um 26,6 % bzw. temperaturbereinigt um 27,3 % stattgefunden hat. Dabei hat über den gesamten Zeitverlauf vor allem die Wirtschaftsentwicklung emissionssteigernd gewirkt.“
Interessant ist das Fazit des Berichtes, das ich an dieser Stelle zitieren möchte:
„Für die zukünftige Ausrichtung der deutschen Klimapolitik sind drei Hauptergebnisse dieses Gutachtens entscheidend: i) Es hat im Zeitraum von 2000 bis 2021 substanzielle Emissionsminderungen gegeben, aber die realisierten klimapolitischen Wirkungen waren vielfach geringer als die avisierten und durch politische Instrumente adressierten Ziele. Dies zeigt sich an den sehr unterschiedlichen Verläufen der Minderungen in den verschiedenen Sektoren durch Phasen, in denen Emissionen nicht weiter zurückgingen oder sogar wieder anstiegen. ii) Ein nahezu kontinuierlicher Zuwachs der Aktivitäten in allen Sektoren einschließlich Rebound-Effekten wirkte einer möglichen stärkeren Absenkung der Emissionen entgegen. iii) Die in der Vergangenheit beobachtete Entwicklung der Treibhausgasemissionen wie auch die Fortschreibung der Trends der letzten Jahre vor der Covid-19-Pandemie weisen für alle Sektoren und insgesamt auf eine erhebliche Erfüllungslücke mit Blick auf die Ziele des Jahres 2030 hin.
Diese Beobachtungen führen zur Frage, ob ein Erreichen der zukünftigen Klimaziele ohne einen Paradigmenwechsel in der Ausrichtung der deutschen Klimapolitik gelingen kann. Während heute vor allem der Wirkraum des Aufbaus von neuem Kapitalstock politisch im Fokus steht, würde ein substanzieller Wechsel darin bestehen, dass zukünftig alle zur Verfügung stehenden Wirkräume konsequent adressiert werden. Das beinhaltet insbesondere auch den Rückbau des fossilen Kapitalstocks sowie die Reduzierung relevanter Aktivitätsgrößen. Eine Möglichkeit für die ganzheitliche Adressierung aller Wirkräume wäre die harte Begrenzung zulässiger Emissionsmengen. Politische Steuerung hätte dann nicht mehr die primäre Aufgabe, Emissionen zu steuern, sondern die dafür umso größere Herausforderung, den Wandel so zu gestalten, dass er für Wirtschaft und Gesellschaft ökonomisch und verteilungspolitisch tragfähig ist. Klimapolitik wäre dann nicht mehr überwiegend Emissions-Minderungspolitik, sondern zunehmend Wirtschafts- und Sozialpolitik unter den neuen Rahmenbedingungen der harten Mengengrenze, die zugleich die Gefahr von Rebound-Effekten bannen würde.“
Die Option einer „harten Begrenzung zulässiger Emissionsmengen“ interpretiere ich letztlich als eine Begrenzung des Wachstums, also eine notwendige Abkehr von der ungebremsten Wachstumslogik. Das ist der oben angesprochene Paradigmenwechsel und wäre meines Erachtens ein möglicher Einstieg in die erforderliche Transformation unserer Lebens- uns Wirtschaftsweise. Eine Forderung, die ich vollinhaltlich unterstütze. Mögliche Szenarien in diesem Zusammenhang wurden in dem neuen Buch des Club of Rome „Earth4All“ veröffentlicht und in diesem Blog sowie, ausführlicher, im Philosophenstübchen von Annette erläutert.
Weiter wird im Fazit des Berichtes ausgeführt:
„Ohne harte Begrenzung von Emissionsmengen bedeutet ganzheitliche Adressierung der Wirkräume, dass politische Maßnahmen neben der Förderung des beschleunigten Ausbaus eines neuen Kapitalstocks deutlich stärker als bisher auch den Rückbau des fossilen Kapitalstocks und eine stärkere Ausschöpfung verhaltensbedingter Effizienzpotenziale adressieren müssen, um die Aussicht auf eine Erreichung der Klimaziele zu verbessern. [Beispiele sind: Anreize zur Reduktion der Heiztemperaturen in privaten und öffentlichen Gebäuden, zu einer CO2 -ärmeren Ernährung, zu einem beschleunigten Umstieg auf CO2 -ärmere oder -freie Verkehrsträger, zu einer Verringerung der Ansprüche an Transportdienstleistungen im Individualverkehr oder zu einer reduzierten Geschwindigkeit im Straßenverkehr.] Dabei kann das Leitbild der harten Mengengrenze und der Klimapolitik als Wirtschafts- und Sozialpolitik die Perspektive der deutschen Treibhausgasminderung deutlich weiten. Denn damit könnten die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Einführung einer harten Mengengrenze ermöglicht wird. Unabhängig vom geschilderten grundlegenden Wechsel des Paradigmas erscheint es darüber hinaus in jedem Fall sinnvoll, kontraproduktiv wirkende und komplexitätserhöhende Elemente im derzeitigen Instrumentenmix konsequent abzubauen.“
Soweit die Auszüge aus dem Zweijahresgutachten 2022. Inwiefern die aktuelle Regierungskoalition ihr Handeln jedoch an den klar formulierten Forderungen des Berichts orientiert und ihr in großen Teilen widersprüchliches Handeln konsequent ändert, steht jedoch auf einem anderen Blatt.
Die Mitglieder der „Letzten Generation“ werden beispielsweise kriminalisiert, weil sie zunächst zwei simple Forderungen an die Bundesregierung stellen:
„Erste Sicherheitsmaßnahmen, die jetzt eingeleitet werden müssen, sind ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen und die Einführung eines bezahlbaren Personennahverkehrs durch ein 9-Euro-Ticket.“
Angesichts der Dringlichkeit konsequenten Handelns sind diese beiden Forderungen geradezu trivial. Das Tempolimit kostet nichts, es wird im Gegenteil Einnahmen bringen bei den Geschwindigkeitskontrollen zu dessen Überwachung und darüber hinaus die Sicherheit verbessern. Und die Finanzierung eines 9-Euro-Tickets einschließlich der in Verbindung damit notwendigen Investitionen in den öffentlichen Nah- und Schienenfernverkehr lässt sich durch Abbau schädlicher Subventionen beispielsweise des Flugverkehrs (Kerosinsteuer, Mehrwertsteuer für Fernflüge) oder des privaten Autoverkehrs (Dieselbesteuerung, Dienstwagenprivileg) zumindest zu großen Teilen finanzieren.
Die „Letzte Generation“ hat meine Unterstützung. Ohne eine Ausweitung des zivilen Ungehorsams wird wohl der dringend notwendige Wandel nicht angestoßen werden. In diesem Fall würde das Zweijahresgutachten 2022 wie so viele andere Berichte, Studien, Gutachten, Mahnungen, Apelle, … zuvor auch, in den unergründlichen Tiefen der Schubladen der Politik verschwinden.