Kernstrahlung

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Einige Nuklide haben die Eigenschaft, sich spontan, ohne äußere Einwirkung, umzuwandeln. Dabei wird Strahlung ausgesandt. Diese Eigenschaft bezeichnet man allgemein als Radioaktivität. Die Kerne solcher radioaktiven Atome werden Radionuklide genannt. Von den uns bisher bekannten etwa 2800 Nukliden sind lediglich rund 250 stabil. Alle anderen Nuklide zerfallen spontan. Bei den Radionukliden, die natürlich vorkommen spricht man von natürlicher Radioaktivität, bei den durch künstliche Kernumwandlung erzeugten Radionukliden von künstlicher Radioaktivität.

1896 entdeckte der französische Physiker Henri Bequerel, dass Uransalze einen lichtdicht verpackten Film schwärzen und ein Elektroskop entladen konnten. Diese Strahlung wurde von den Eheleuten Marie und Pierre Curie genauer untersucht. Sie machten dabei grundlegende Entdeckungen. So wurde von ihnen das Element Polonium entdeckt. Da über die Natur dieser Strahlung damals noch wenig bekannt war, versuchte man, sich durch die Charakterisierung von physikalischen Eigenschaften dem Phänomen zu nähern. Ließ man die Strahlung ein elektrisches Feld durchlaufen, bemerkte man, dass sich die Strahlung in drei Komponenten zerlegen ließ. Diese bezeichnete man der Einfachheit halber als Alpha-, Beta- und Gammastrahlung.

Heute kennt man die physikalische Natur dieser Strahlung und bezeichnet sie nach Wirkung allgemein als ionisierende Strahlung. Jedoch gibt es insbesondere bei der Bestimmung der Wechselwirkung dieser Strahlungen mit Lebewesen, vor allem dem Menschen, stark voneinander abweichende Auffassungen unter den Wissenschaftlern. Die Bewertung aktueller Forschungsergebnisse erfolgt bis heute sehr unterschiedlich und keinesfalls immer wissenschaftlich und objektiv. Auf diese Problematik wird an anderer Stelle genauer eingegangen.


Alpha-Strahlung 

Als Alpha-Strahlen hat man Helium-Atomkerne identifiziert, die aus zwei Protonen und zwei Neutronen bestehen. Ein Beispiel für einen Alphastrahler ist das Element Radium. Der Kern Radium-226 hat 88 Protonen und 138 Neutronen. Dieser Kern ist nicht stabil, d. h., dass die Kernkräfte die Abstoßungskräfte der Protonen nicht vollständig kompensieren. Der Kern versucht, einen stabileren, also energetisch günstigeren Zustand zu erreichen.

Entstehung von Alpha-Strahlung Entstehung von Alpha-Strahlung*

Das wird möglich durch das Ausstoßen eines He-4 Kernes. Damit reduziert sich die Massenzahl um 4 und die Kernladungszahl um 2. Es entsteht das neue Element Radon-222, welches ebenfalls radioaktiv ist und weiter zerfällt. Das entstandene Element Radon gibt darüber hinaus zwei, nunmehr überflüssige Hüllenelektronen an die Umgebung ab. Das ausgestoßene Alpha-Teilchen seinerseits nimmt zwei Hüllenelektronen aus der Umgebung auf und wird damit zu einem vollständigen Heliumatom. Der Vorgang der Kernumwandlung kann durch die folgende Kernreaktionsgleichung beschrieben werden.


226 Ra --> 222 Rn + 4 He
88 86 2

Zu Beachten ist bei einer solchen Reaktionsgleichung, dass auf beiden Seiten sowohl die Summen der Massenzahlen (links: 226; rechts: 222 + 4) als auch die Summen der Kernladungszahlen (links: 88; rechts:86 + 2) übereinstimmen müssen.


Beta-Strahlung 

Beim Beta-Zerfall wird aus dem Kern eines Radionuklids ein Elektron ausgestoßen. Dessen Geschwindigkeit kann zwischen fast Null und fast Lichtgeschwindigkeit variieren. Diese Elektronen bilden die Beta-Strahlen. Ein Beispiel für einen Beta-Zerfall ist die Umwandlung von Cäsium-137 in Barium-137. Dieses Beispiel ist in der nachstehenden Abbildung dargestellt.

Entstehung von Beta-Strahlung Entstehung von Beta-Strahlung*

Bei diesem Prozess wandelt sich ein Neutron unter Aussendung eines Elektrons in ein Proton um. Für den betreffenden Atomkern bedeutet das, dass sich seine Massenzahl nicht ändert, jedoch seine Kernladungszahl um eins wächst. Es entsteht das im Periodensystem benachbarte Element mit der höheren Ordnungszahl. In diesem Fall entsteht aus Cäsium Barium. Die Reaktionsgleichung lautet in diesem Fall:


137 Cs --> 137 Ba + 0 e
55 56 -1

Auch der Prozess mit der umgekehrten Polarität der ausgesandten Strahlung ist bekannt. Dabei werden also "Elektronen" mit positiver elektrischer Ladung, so genannte Positronen aus dem Kern emittiert. Die Strahlung wird deshalb Beta+- oder Positronenstrahlung genannt. Ein Beispiel für einen solchen Zerfall ist die Umwandlung von Na-22 in Ne-22 unter Aussendung eines Positrons. Das Beispiel ist nachfolgend dargestellt.


22 Na --> 22 Ne + 0 e
11 10 +1
Entstehung von Beta-Strahlung Entstehung von Beta-Strahlung*

Bei diesem Zerfall nimmt die Kernladungszahl um eins ab. Genau wie beim Beta- -Zerfall ändert sich die Massenzahl nicht.

Genau betrachtet spielt bei beiden Varianten des Beta-Zerfalls noch ein weiteres Elementarteilchen eine Rolle, ein Neutrino. Neutrinos besitzen fast keine Masse und haben auch keine Ladung. Sie sind deshalb auch außerordentlich schwer nachweisbar und sollen deshalb an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt, im Weiteren aber vernachlässigt werden.


Gamma-Strahlung 

Gamma-Strahlung ist elektromagnetische Strahlung. Sie ist also gleicher Natur wie Radiowellen, Mikrowellen oder das sichtbare Licht. Sie ist jedoch wesentlich energiereicher. Abgesehen von der Art der Entstehung ist sie praktisch mit Röntgenstrahlung identisch. Gamma-Strahlung wird mit für den jeweiligen Atomkern charakteristischen Energien abgegeben. Gamma-Strahlung tritt in vielen Fällen begleitend zum Alpha- bzw. Beta-Zerfall auf. Der Atomkern ist nach einem solchen Ereignis meist noch in einem angeregten Zustand.

Entstehung von Gamma-Strahlung Entstehung von Gamma-Strahlung*

Diese Energie wird dann in Form eines oder mehrerer charakteristischer Gammaquanten abgegeben. Dadurch ändert sich zwar der Energiezustand des betreffenden Kerns, nicht jedoch dessen Massenzahl oder Kernladungszahl. Beispielsweise kann der nach dem Beta-Zerfall noch angeregte (metastabile - m) Bariumkern ein Gammaquant abgeben und dadurch ein niedrigeres Energieniveau erreichen.


137m Ba --> 137 Ba + Gammaquant
56 56

Gamma-Strahlung tritt auch bei anderen Reaktionen zwischen Elementarteilchen auf.


Besonderheit: Elektroneneinfang 

Eine besondere Kernumwandlung tritt sowohl bei natürlichen wie auch künstlichen Radionukliden auf: Der Einfang eines Elektrons aus der Elektronenhülle. Dabei wird meist ein Elektron aus der innersten Elektronenschale (der sogenannten K-Schale - daher auch der Name K-Einfang) vom Kern eingefangen, wodurch sich ein Proton in ein Neutron umwandelt. Der in der Elektronenhülle freigewordene Platz des vom Kern eingefangenen Elektrons wird durch ein äußeres Hüllenelektron wieder aufgefüllt, wobei charakteristische Röntgenstrahlung freigesetzt wird.

K-Einfang K-Einfang*

Ein Beispiel ist die Umwandlung des Kalium-Isotops K-40 durch Elektroneneinfang in das Argon-Isotop Ar-40. Dieser Prozess wird durch folgende Reaktionsgleichung beschrieben:


40 K + 0 e --> 40 Ar
19 -1 18

Beim Elektroneneinfang nimmt, genau wie bei der Abgabe eines Positrons, die Kernladungszahl um eine Einheit ab, während die Massenzahl erhalten bleibt.


Neutronenstrahlung 

Diese Strahlung wurde erst sehr viel später entdeckt. Das beruht vor allem darauf, dass Neutronen auf Grund ihrer elektrischen Neutralität sehr viel schwerer nachweisbar sind als etwa Alpha- oder Beta-Strahlung. Der erste Nachweis freier Neutronen gelang dem Engländer Chadwick 1932 beim Beschuss von Beryllium mit Alpha-Teilchen. Dabei tritt folgende Reaktion auf:


9 Be + 4 He --> 13 C --> 12 C + 1 n
4 2 6 6 0

Dabei wurde festgestellt, dass ein freies Neutron instabil ist und in ein Proton und Elektron zerfällt:


1 n --> 1 p + 0 e
0 1 -1

Nur wenn ein Neutron in einem Kern gebunden ist, ist es, bis auf die Ausnahme des Beta- - Zerfalls, stabil.


Energie der Kernstrahlung 

Die Energie wird nach SI-System in Joule angegeben. Ein Joule entspricht einem Newtonmeter bzw. einer Wattsekunde. Diese Einheiten sind gleichbedeutend. Jedoch sind diese Einheiten für die Beschreibung atomarer Prozesse viel zu groß. Man verwendet deshalb in der Kernphysik traditionell eine nicht dem SI-System entsprechende und damit eigentlich unzulässige Einheit für die Energie, die aber den Vorteil hat, dass sie angemessen und weit gebräuchlich ist. Es handelt sich dabei um die Einheit Elektronenvolt, abgekürzt eV.

Definiert ist diese Energie als diejenige Energie, die ein Elektron aufnimmt, wenn es beim freien Durchlaufen einer Spannung von einem Volt beschleunigt wird.

Gebräuchlich sind auch Vielfache dieser Einheit:

1 Kiloelektronenvolt (KeV) = 103 eV
1 Megaelektronenvolt (MeV) = 106 eV
1 Gigaelektronenvolt (GeV) = 109 eV

Die Bewegungsenergie von Gasatomen bei Zimmertemperatur beträgt beispielsweise etwa 0,04 eV. Energiebeträge dieser Größenordnung werden deshalb als thermische Energie bezeichnet.

Bei der Spaltung von Uran (U-235) spielen beispielsweise thermische Neutronen eine Rolle. Diese haben eine Energie von etwa 0,025 eV. Das entspricht einer mittleren Geschwindigkeit der Neutronen von 2200 m/s, umgerechnet etwa 8000 Km/h.


Charakteristische Energie-Werte der Kernstrahlungen 

Die einzelnen Kernstrahlungen liefern teilweise charakteristische Energiewerte, teilweise aber auch kontinuierliche Energieverteilungen.

Beim Alpha-Zerfall treten häufig sogenannte Zerfallsgruppen auf. Das bedeutet, dass eine Vielzahl von Zerfallsprozessen mit gleicher Energie der abgegebenen Alpha-Strahlung abläuft, es aber mehrere charakteristische Zerfallsgruppen gibt. Beschrieben wird ein solcher Zerfall durch ein sogenanntes Umwandlungsschema. In einem solchen Schema geben die waagerechten Linien verschiedene Energieniveaus an, senkrechte Linien bedeuten Energieänderungen, Verschiebungen nach links eine Verringerung und eine Verschiebung nach rechts eine Erhöhung der Kernladungszahl. Die Kennzeichnung eines Zustandes mit einem m steht für die Beschreibung eines metastabilen Zustandes. Das Umwandlungsschema für Ra-226 ist als Beispiel angegeben.

Umwandlungsschema für Ra-226 Umwandlungsschema für Ra-226*

Hier zeigt sich, dass im Wesentlichen zwei Gruppen von Alpha-Teilchen entstehen: Eine Gruppe (5,7% aller Alpha-Teilchen) mit einer Energie von 4,601 MeV und eine zweite Gruppe (94%) mit einer Energie von 4,7843 MeV. Der Unterschied resultiert daraus, dass bei der ersten Gruppe der Atomkern in einen metastabilen Zwischenzustand gelangt und erst nach Abgabe eines Gamma-Quants in den Grundzustand übergeht.

Weitere Beispiele sind hier angegeben: (Die Punkte hinter den Energiewerten weisen auf weitere Alphateilchen hin, die mit geringerer Häufigkeit auftreten.)


Radionuklid Energie der Alphateilchen in MeV
Rn-222 5,48952; ....
Ra-226 4,7843; 4,601; ....
U-238 4,198; ....
Pu-239 5,157; 5,144; ...

Beim Beta-Zerfall zeigen die Elektronen bzw. Positronen eine charakteristische, kontinuierliche Energieverteilung. Die kontinuierliche Verteilung rührt von dem oben bereits erwähnten Einfluss der Neutrinos bzw. Antineutrinos her, die bei diesem Prozess mit entstehen, jedoch nicht weiter betrachtet werden sollen.

Die häufigste Energie ist jedoch für ein bestimmtes Radionuklid charakteristisch. Die Verteilung der Energie beim Beta-Zerfall von P-32 ist nachfolgend dargestellt.

Verteilung der Energie beim Beta-Zerfall von P-32 Verteilung der Energie beim Beta-Zerfall von P-32*

Die Maximalenergie von Beta-Strahlung ausgewählter Prozesse ist in der nachfolgenden Tabelle angegeben.


Radionuklid Maximalenergie von Beta--Teilchen in MeV
H-3 0,018
Co-60 0,3; 1,5
Pb-210 0,02; 0,06
Bi-214 1,5; 3,3; ...

Die Energie von Neutronenstrahlung kann, je nach Entstehungsprozess sowohl einheitlich als auch kontinuierlich verteilt sein. Bei Kernreaktoren, als den heute größten kommerziellen Neutronenquellen, ergibt sich beispielsweise folgende Energieverteilung:

Neutronen-Energieverteilung Energieverteilung von Neutronen nach Spaltung von U-235*

Folgende Einteilung verwendet man für Charakterisierung von Neutronenenergien:


Bezeichnung Energie
langsame (thermische) Neutronen < 10 eV
mittelschnelle (epithermische oder intermediäre) Neutronen 10 eV bis 0,1 MeV
schnelle Neutronen > 0,1 MeV

Die Energie der Gammaquanten, die im Zusammenhang mit einem Zerfallsprozess entstehen ist charakteristisch für die jeweiligen Prozesse. Die Energien charakteristischer Gamma-Quanten einiger Radionuklide sind nachfolgend aufgeführt:


Radionuklide Umwandlungsart Energie der häufigsten
Gammaquanten in MeV
Be-7 K-Einfang 0,478
N-16 Beta-Minus 6,129; 7,115 ...
Na-22 Beta-Plus 1,275
Ba-137 m Gamma 0,662
U-235 Alpha 0,186 ...

Die Abbildungen stammen aus Kernenergie Basiswissen von Martin Volkmer, Informationskreis Kernenergie, 2003