Die menschliche Klima-Nische wird kleiner

Am 22. Mai 2023 veröffentlichten Timothy M. Lenton u. a einen Artikel in der Zeitschrift Nature unter dem Titel „Quantifying the human cost of global warming“, der die zukünftig zu erwartenden Probleme der Lebensbedingungen vieler Menschen unter den Bedingungen des Klimawandels untersucht. Nachfolgend sind daraus einige wesentliche Aspekte dargestellt.

Aktuell zeigt sich, dass trotz verstärkter Zusagen und verbesserter Ziele zur Bekämpfung des Klimawandels die Welt bei der derzeitigen Politik immer noch auf dem Weg zu einer globalen Erwärmung von etwa 2,7 °C am Ende des Jahrhunderts gegenüber dem vorindustriellen Niveau ist. Forderungen nach Klimagerechtigkeit unterstreichen die Notwendigkeit, die durch den Klimawandel verursachten sozialen Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Bestehende Schätzungen der Kosten des Klimawandels werden fast ausschließlich in Geldwerten ausgedrückt, wodurch die Auswirkungen auf die Reichen stärker ins Gewicht fallen, als die auf die Armen. Hinzu kommt, dass zukünftige Schäden einer wirtschaftlichen Diskontierung unterliegen, weshalb die heute Lebenden ihre Belastungen höher schätzen ein als die der in der Zukunft Lebenden. Unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit ist dies unethisch: Wenn Leben oder Gesundheit auf dem Spiel stehen, sollten alle Menschen gleichbehandelt werden, egal ob sie reich oder arm sind, egal ob sie leben oder noch nicht geboren wurden.

Die Autoren verfolgen deshalb zur Beschreibung der Auswirkungen des Klimawandels einen anderen Ansatz: Sie gehen von der Tatsache aus, dass Menschen sich ihre Lebensräume historisch dadurch erschlossen haben, dass sie sich physiologisch und kulturell den jeweiligen lokalen Klimazonen weitgehend angepasst haben. Sie besetzen damit ihre je eigene „menschliche Klimanische“. Schaut man sich nun die Bevölkerungsdichte in Abhängigkeit von der mittleren Jahrestemperatur der jeweiligen Lebensbereiche an, so zeigt sich eine erste Spitze der Bevölkerungsdichte bei einer mittleren Jahrestemperatur (MAT) von ca. 13 °C (entspricht etwa den sogenannten gemäßigten Breiten rund um den Globus) und eine zweite Spitze bei etwa 27 °C (verbunden mit Monsunklima, vor allem in Südasien). Da Menschen sich in ihrer jeweiligen Klimanische auch ernähren müssen, folgt die Dichte von Nutzpflanzen und Nutztieren ähnlichen Verteilungen.

Untersucht wird im Folgenden des Beitrags, wie die relative Bevölkerungsdichte mit der mittleren Jahrestemperatur (MAT) historisch und zukünftig variiert. Als Referenzzustand wird dabei die Bevölkerungsverteilung von 1980 (insgesamt 4,4 Milliarden) unter dem mittleren Klima von 1960-1990 (Abb. 1a; „1980“) betrachtet.

 

Verschiebung der menschlichen Klimanischen

Verschiebung der menschlichen Klimanischen

Abb. 1
a) Beobachtete Veränderungen der Referenzverteilung für die Bevölkerung von 1980 (4,4 Mrd.) unter dem Klima von 1960-1990 (0,3 °C globale Erwärmung) bis zur Bevölkerung von 2010 (6,9 Mrd.) unter dem Klima von 2000-2020 (1,0 °C globale Erwärmung), zusammen mit geglätteten, angepassten Funktionen („1980 angepasst“ ist definiert als die Temperaturnische).
b) Beobachtete und projizierte zukünftige Veränderungen der Bevölkerungsdichte in Bezug auf die MAT, die zu einer globalen Erwärmung von ~2,7 °C und einer Spitzenbevölkerung von 9,5 Milliarden Menschen führt.
c) Projizierte Bevölkerungsdichte in Bezug auf MAT für eine zukünftige Welt mit 9,5 Milliarden Menschen unter verschiedenen Niveaus der globalen Erwärmung (1,5, 1,8, 2,1, 2,4, 2,7 und 3,6 °C), im Vergleich zur Referenzverteilung (0,3 °C, Bevölkerung von 1980). Die Daten sind als Mittelwerte dargestellt, wobei die schattierten Bereiche dem 5. bis 95. Perzentil entsprechen.

Die Bedrohung der Klimanischen ist durch technologischen Fortschritt nicht lösbar

Die menschliche Klimanische wird durch direkte Auswirkungen des Klimas auf uns und indirekte Auswirkungen auf die Arten und Ressourcen, die uns erhalten oder bedrohen, geprägt. Zu den direkten Klimaauswirkungen gehören gesundheitliche Auswirkungen und Verhaltensänderungen. Die menschliche Wahrnehmung des thermischen Komforts hat sich so entwickelt, dass wir uns in der Nähe optimaler Bedingungen von 22-26 °C aufhalten, wobei das Wohlbefinden über 28 °C abnimmt. Zu den Verhaltensänderungen gehören das Ändern der Kleidung, der Wechsel der Umgebung (auch in Innenräume) und die Änderung der Arbeitsabläufe. Diese Maßnahmen können die individuelle Exposition gegenüber extremen Temperaturen abfedern, wirken sich aber dennoch über die Auswirkungen auf die Arbeit auf das kollektive Wohlbefinden aus. Manchmal sind unangenehme Bedingungen unvermeidlich. Hohe Temperaturen können die Arbeitsproduktivität, die kognitive Leistung und die Lernfähigkeit verringern, zu ungünstigen Schwangerschaftsergebnissen führen und die Sterblichkeit erhöhen. Temperaturen über 40 °C können tödlich sein, und die tödliche Temperatur nimmt mit steigender Luftfeuchtigkeit ab. Bei einer Feuchtkugeltemperatur (WBT), auch als Kühlgrenztemperatur bezeichnet, von mehr als 28 °C nimmt die Wirksamkeit des Schwitzens bei der Kühlung des Körpers ab, und eine WBT von etwa 35 °C kann tödlich sein, insbesondere für schwächere Personen, da der Körper sich nicht mehr selbst kühlen kann.

Indirekte Auswirkungen des Klimas treten auf, wenn das Klima die Verteilung und Häufigkeit von Arten oder Ressourcen beeinflusst, die den Menschen ernähren oder ihm schaden. Wärmere und feuchtere Bedingungen begünstigen tendenziell das Auftreten von Krankheiten. Die Mehrheit der Weltbevölkerung ist nach wie vor direkt vom Zugang zu Süßwasser abhängig, der mit steigenden Temperaturen immer schwieriger wird (Dürrephasen). Etwa 2 Milliarden Menschen sind von der Subsistenzlandwirtschaft und damit von den Klimanischen ihrer Ernten abhängig. Weitere 120 Millionen Hirten sind von ihren domestizierten Tieren abhängig, die als Säugetiere ähnliche physiologische Grenzen wie der Mensch haben. Trotz eines globalisierten Lebensmittelmarktes werden die meisten Länder ihre Ernährungssicherheit vor allem durch lokale Produktion sichern müssen. Dadurch sind wir alle an die Klimanischen der von uns verzehrten Pflanzen und Tiere gebunden, die der Nische des Menschen ähnlich sind. Hohe Temperaturen verringern das Ertragspotenzial von Nutzpflanzen, und die Erwärmung führt zur Ausbreitung wichtiger Pflanzenschädlinge und Krankheitserreger. Wichtige auf Regen angewiesene Feldbaukulturen wie Mais, Reis, Weizen wandern bereits ab, was durch die zunehmende Bewässerung lediglich etwas abgemildert werden kann. Dies und die historische Konstanz der Nische deuten darauf hin, dass der technologische Fortschritt nur ein begrenztes Potenzial hat, die menschliche Klimanische in Zukunft zu erweitern.

Differenzierte Betroffenheit

Oberhalb des derzeitigen Niveaus von etwa 1,2 °C globaler Erwärmung wird ein deutlicher Anstieg der Exposition gegenüber noch nie dagewesenen Durchschnittstemperaturen (MAT ≥29 °C) vorhergesagt, wodurch die Exposition gegenüber Temperaturextremen zunimmt. Dies steht im Einklang mit der Tatsache, dass sich die Häufigkeit extremer feuchter Hitze seit 1979 mehr als verdoppelt hat. Dabei hat die Exposition vor allem in städtischen Gebieten aufgrund zunehmender städtischer Wärmeinseln zugenommen. Sowohl Indien als auch Nigeria weisen bereits heute „Hotspots“ mit erhöhter Exposition gegenüber extremer Hitze auf, die in erster Linie auf die Erwärmung zurückzuführen sind, was mit unserer Vorhersage übereinstimmt, dass sie in Zukunft am stärksten gefährdet sind (Abb. 2). Diese und andere Schwellenländer wie z. B. Indonesien, Pakistan oder Thailand dominieren die Gesamtbevölkerung, die in einer 2,7 °C wärmeren Welt einer noch nie dagewesenen Hitze ausgesetzt ist (Abb. 2).

Regionen mit extremen Jahresmitteltemperaturen größer 29 °C

Regionen mit extremen Jahresmitteltemperaturen größer 29 °C

Abb. 2 – Regionen, die einer noch nie dagewesenen Hitze (MAT ≥29 °C) ausgesetzt sind, überlagert mit der Bevölkerungsdichte (Anzahl in einer ca. 100 km2-Gitterzelle) für eine Welt mit 9,5 Milliarden Menschen (SSP2, 2070) unter 2,7 °C globaler Erwärmung (a) und 1,5 °C globaler Erwärmung (b).

Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse der Studie die enormen potenziellen menschlichen Kosten und die große Ungerechtigkeit des Klimawandels, die die Diskussionen über Verluste und Schäden beeinflussen. Die schlimmsten Szenarien von etwa 3,6 °C oder sogar 4,4 °C globaler Erwärmung könnten dazu führen, dass die Hälfte der Weltbevölkerung die historische Klimanische verlässt, was ein existenzielles Risiko darstellt. Die bei der derzeitigen Politik erwartete globale Erwärmung von ca. 2,7 °C bringt etwa ein Drittel der Weltbevölkerung außerhalb der Nische. Sie setzt fast die gesamte Fläche einiger Länder einer noch nie dagewesenen Hitze aus. Migration dürfte dann eine der unvermeidbaren Konsequenzen sein.