Utopiebaustelle 2004

Sonntag, 14. November 2004

als Gäste begrüßten wir Heidemarie Schwermer und Uli Frank (Sprockhövel)

Nach einigen Wirrungen und bangem Warten klappte doch noch alles: Heidemarie und Uli waren unsere Gesprächspartner und die Diskussion zog sich deutlich über die eigentlich vorgesehenen zwei Stunden hinaus.

Die gestellten Fragen bezogen sich natürlich zuallererst auf den Problemkreis: Wie geht das heute überhaupt, ohne Geld zu leben? In wenigen Stichpunkten könnte man die Antworten vielleicht so zusammenfassen:

  • Ausgangspunkt war vor nunmehr einigen Jahren die Erfahrung, dass sich über Tauschringe viele Alltagsbedürfnisse realisieren lassen konnten. Aus dieser Erfahrung war es als Experiment gedacht, einmal längere Zeit (ein Jahr) zu versuchen, völlig ohne Geld auszukommen.
  • Das Geld wurde durch ein individuelles Beziehungsgeflecht ersetzt, das den Austausch unmittelbar benötigter Dinge und Leistungen ermöglicht.
  • So war beispielsweise eine Unterkunft häufig dadurch gesichert, dass zeitweise leerstehende Wohnungen bzw. Häuser gehütet, sprich im Auftrag der Eigentümer in deren Abwesenheit betreut wurden.
  • Viele benötigte Dinge wie Kleidung und Nahrung wurden entsprechend eines "Gib-und-Nimm"-Modells realisiert. Nähere Informationen dazu finden sich weiter unten auf dieser Seite.
  • Ungeklärt sind bei dieser Lebensweise solche Fragen wie Versicherungen, beispielsweise im Fall einer ernsthaften Erkrankung. Diese Fragen lassen sich erst dann ohne Geldvermittlung lösen, wenn diese Lebensweise nicht als Experiment eines einzelnen Menschen sondern von einer Gemeinschaft praktiziert wird.

Aus dem Experiment für ein Jahr sind nunmehr bereits acht Jahre geworden.

In der Diskussion wurde festgestellt, dass solche unmittelbaren Leistungen, beispielsweise in Form der Nachbarschaftshilfe, durchaus üblich sind und in der DDR viel ausgeprägter waren als heute. In der Förderung solcher Beziehungen könnte sich ein Ansatz zur Überwindung von einigen Geld-Beziehungen finden. Jedoch kann das nur wirksam werden, indem es praktiziert wird. Jeder kann dazu bei sich anfangen.

Uli Frank berichtete von Erfahrungen bei der Nutzung von Dingen, die es "mehr als genug" gibt. So gibt es in vielen Läden Waren, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr verkäuflich sind, mit deren "Entsorgung" u. U. sogar ein nicht unbeträchtlicher Aufwand verbunden ist. Solche Überschüsse könnten organisiert genutzt werden, wie das heute bereits in Form von Tafelhäusern teilweise praktiziert wird.

Auch in anderen Ebenen entstehen Güter, die jeder Interessierte ohne Geld oder andere Gegenleistungen frei nutzen kann, beispielsweise im Bereich der Software.

Dies könnten Ansätze sein, die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der Menschheit ohne die Enge der Geldlogik und ohne den Frust der Erwerbsarbeit fortzuschreiben, über die zu diskutieren es sich lohnen würde.

Von Heidemarie Schwermer wurde mehrfach ein "Gib und Nimm"-Prinzip erwähnt, welches hier kurz vorgestellt werden soll. Der Text ist als Brief an einen potentiellen Interessenten gefasst:


Das Gib und Nimm Spiel

LiebeR...........

in einer Welt, in der das Gleichgewicht immer mehr gestört ist, wird die Aktivität eines jeden von uns gefragt. Statt zu sagen: "Wir können sowieso nichts daran ändern", gilt es darüber nachzudenken, wo kleine Schritte weiterhelfen.

Das "Gib und Nimm Spiel" wendet sich an alle Menschen, die unsere Welt, so wie sie zur Zeit ist, nicht mehr akzeptieren können und ihren Teil für eine Änderung dazutun möchten.

Wer bei uns mitspielen möchte, kann sich einen Gib und Nimm Aufkleber abholen, den er sich gut sichtbar an die Tür, an die Fensterscheibe, an den Briefkasten oder ans Auto klebt.

Das bedeutet: Ich bin offen für Neues. Sei es für Nachbarschaftshilfe, für Abgabe von überflüssigem Besitz, fürs Herzöffnen gegenüber unbekannten Menschen, für die Mitnahme im PKW oder oder.... Das Gib und Nimm Spiel bietet Möglichkeiten für ein persönliches Wachstum, für die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Geben und Nehmen, für eine gerechtere Welt. Es kann jederzeit wieder abgebrochen werden, indem der Aufkleber abgenommen wird.

Ich spiele dieses Spiel schon seit acht Jahren, habe sogar das Geld für mich abgeschafft und bin doch reicher und freier als zuvor. Meine Lebensqualität hat sich gesteigert, weil aus der ehemaligen Routine ein abenteuerliches Leben im Augenblick geworden ist. Da ich nur das möchte, was ich wirklich brauche, habe ich mehr Zeit für die Welt und die Menschen darin.

Viel Freude wünscht

gez. Heidemarie Schwermer


Falls Interesse am Kontakt mit Heidemarie Schwermer bzw. an Aufklebern für die Teilnehme am Gib und Nimm Spiel besteht, vermitteln wir gern.

Weiter ging es am Montag, 15. November 2004 mit Uli Frank, da Christoph Spehr aus Bremen, der zum Thema "freie Kooperationen" sprechen wollte, kurzfristig erkrankte.