Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC) über die Folgen von 1,5°C globaler Erwärmung vom 8. Oktober 2018

Am 8. Oktober 2018 wurde vom Weltklimarat (IPCC) ein Sonderbericht mit dem vollständigen Titel „1,5°C globale Erwärmung – Der IPCC-Sonderbericht über die Folgen einer globalen Erwärmung um 1,5°C gegenüber vorindustriellem Niveau und die damit verbundenen globalen Treibhausgasemissionspfade im Zusammenhang mit einer Stärkung der weltweiten Reaktion auf die Bedrohung durch den Klimawandel, nachhaltiger Entwicklung und Bemühungen zur Beseitigung von Armut“ veröffentlicht.

Der Bericht soll vor allem die Unterschiede darstellen, wenn, wie in Paris Ende 2015 beschlossen, die globale mittlere Temperaturerhöhung gegenüber dem vorindustriellen Niveau auf 1,5°C begrenzt werden kann gegenüber einer Erhöhung um 2°C. Dieser Wert wird allgemein als „Leitplanke“ betrachtet, deren Überschreitung drastische und irreversible Verschlechterungen für die Lebensbedingungen der gesamten Menschheit mit sich bringen würde. Gleichzeitig soll dieser Zwischenbericht mögliche Entwicklungspfade und Handlungsoptionen aufzeigen, die eine Einhaltung des 1,5°C-Zieles grundsätzlich noch ermöglichen. Für den Bericht wurden etwa 6.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen ausgewertet und zusammengefasst.

Klares Bekenntnis zum 1,5°C-Ziel

In den Tagesmedien wurde der Bericht an verschiedenen Stellen als „Weckruf“ oder als „Warnung vom Weltklimarat“ bezeichnet. Tatsächlich werden in der Kurzfassung des Berichts (Summary for Policymakers) eine ganze Reihe wissenschaftlich belastbarer Unterschiede zwischen einer Erwärmung um 1,5°C und 2°C für verschiedene Bereiche aufgelistet:

[Quelle: Grafik „How the level of global warming affects impacts and/or risks associated with the Reasons for Concern (RFCs) and selected natural, managed and human systems“ auf Seite 13]

  • Zukünftige Klima-Risiken hängen von der Rate des Anstiegs der Erwärmung, deren Höhe und Dauer ab. Sie sind insgesamt höher und können zu irreversiblen Schäden führen, auch wenn nach einem zwischenzeitlichen Anstieg auf fast 2°C diese zum Ende des Jahrhunderts wieder auf 1,5°C begrenzt werden kann.
  • Eine Begrenzung auf 1,5°C würde einen um etwa 0,1 Meter geringeren Anstieg des Meeresspiegels im Vergleich zu 2°C Erhöhung zur Folge haben, womit etwa 10 Mio. Menschen weniger unmittelbar von den entsprechenden Risiken betroffen sein würden.
  • Darüber hinaus besteht das Risiko, dass im Temperaturbereich zwischen 1,5 und 2°C ein wichtiger Kipppunkt im Klimasystem überschritten wird – das Abschmelzen der Polkappen, was eine Erhöhung des Meeresspiegels um mehrere Meter über hunderttausende Jahre zur Folge hätte.
  • Einen Begrenzung der Temperaturerhöhung auf 1,5°C hätte deutlich geringere Folgen für die Biodiversität an Land. So würden bei einer Erhöhung um 1,5°C 6% der Insekten, 8% der Pflanzen und 4% der Wirbeltiere verloren gehen, bei einer Erhöhung um 2°C jedoch 18% der Insekten, 16% der Pflanzen und 8% der Wirbeltiere.
  • In den Ozeanen würden beispielsweise bei einer 1,5°C-Erhöhung etwa 70% aller Korallenriffe vernichtet werden, bei einer 2°C-Erhöhung hingegen nahezu alle (>99%). Das Risiko des Verlustes vieler mariner und küstennaher Ökosysteme wäre deutlich höher.
  • Klimabedingte Risiken für Gesundheit, Existenzgrundlagen, Nahrungs- und Wasserversorgung, menschliche Sicherheit und Wirtschaftswachstum nehmen bei einer Erwärmung um 1,5°C deutlich zu und steigen bei 2 °C deutlich weiter an.
  • Der erforderliche Anpassungsbedarf ist bei einer Erwärmung um 1,5°C deutlich geringer und damit mit weniger Ressourcenaufwand verbunden als bei einer Erwärmung um 2°C.

Eine sehr schöne animierte Darstellung der Folgen einer Erhöhung auf 2°C im Vergleich zur 1,5°C ist in der New York Times veröffentlicht worden.
Auf Grund der dargestellten Risiken orientiert der Bericht klar auf eine möglichst strikte Einhaltung des 1,5°C-Ziels. Er entwickelt Szenarien in Form von Emissionspfaden, die bis 2100 das 1,5°C Ziel erreichen und zwischenzeitlich nur gering überschreiten (overshoot). Dazu sind entsprechende radikale Emissionsreduktionen erforderlich: Bis 2030 um 45% weniger im Vergleich zu 2010 und bis 2050 bei Null.

Der Bericht ist bis zu dieser Stelle tatsächlich als eindringliche Warnung, als Weckruf zu interpretieren, die Risiken wahrzunehmen und schnellstens spürbare Konsequenzen zu ziehen. Anderenfalls zerstören wir heute die Lebensbedingungen unserer Kinder und Enkel.

Entwicklungspfade, um das 1,5°C-Ziel zu erreichen

Im Weiteren befasst sich der Bericht mit den möglichen Erfolgsaussichten, die Erhöhung der mittleren globalen Temperatur auf lediglich 1,5°C noch zu begrenzen und zeigt dafür mehrere Pfade auf, wie sich die Emissionen von CO2 und den anderen Treibhausgasen dazu entwickeln müssten.

[Quelle: Grafik „Global emissions pathway characteristics“ auf Seite 18]

In dieser Übersicht werden beispielhaft vier mögliche Emissionspfade dargestellt. Alle vier erreichen das Ziel, im Jahr 2100 die Temperaturerhöhung auf 1,5°C begrenzt zu haben, jedoch mit jeweils unterschiedlichen Emissions-Entwicklungen und teilweise mit zwischenzeitlichen deutlichen Überschreitungen dieses Wertes (overshoot).

Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass allen Emissionspfaden eines gemeinsam ist: Sie liegen ab etwa 2050 … 2060 mehr oder weniger ausgeprägt im negativen Bereich der CO2-Emissionen! Das bedeutet im Klartext, dass spätestens ab diesem Zeitpunkt aktiv CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden muss. Deshalb sollen die möglichen Entwicklungspfade etwas näher betrachtet werden. Dazu sind in der Übersicht auf Seite 19 des bereits genannten Berichts detaillierte Angaben zu den Emissionspfaden zu finden.

[Quelle: Übersicht „Global emissions pathway characteristics“ auf Seite 19]

Im oberen Teil der Übersicht sind in Form von Flächendiagrammen die Bereiche dargestellt, aus denen die CO2-Emissionen resultieren. Erkennbar ist, dass die Absenkungen der CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen und industriellen Quellen (grau hinterlegter Bereich) unterschiedlich schnell erfolgen – für P1 am schnellsten und P4 am langsamsten. Das bedeutet, dass im Verhältnis jeweils mehr Klimagase emittiert werden dürfen, bzw. die Senkung der Emissionen erst später, weiter in der Zukunft erfolgen muss. Adäquat dazu muss natürlich das im Vergleich dann zusätzlich emittierte CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. Dies soll einerseits durch eine veränderte Land- und Forstwirtschaft sowie eine veränderte Landnutzung (braun hinterlegte Flächen – AFOLU), beispielsweise durch Aufforstung von bisher nicht genutzten Brachflächen erreicht werden.

Andererseits sollen rein technische Maßnahmen wie Carbon Capture and Storage (CCS), wo CO2 direkt aus der Atmosphäre entnommen, verdichtet und in tieferen Gesteinsschichten oder im Ozean verpresst wird zur Anwendung kommen. Eine Erweiterung dieses Verfahrens stellt das Bioenergie-CCS (BECCS, gelb hinterlegte Flächen) [http://klima-der-gerechtigkeit.de/2016/01/08/negative-emissionstechnologien-sind-gefaehrliche-wolkenkuckucksheime/ ]dar, bei dem Energiepflanzen angebaut und anschließend energetisch verwertet (verbrannt) werden und das dabei entstehende CO2 aufgefangen und verpresst wird. Beide Verfahren befinden sich bisher eher in einem technischen Versuchsstadium und somit ist deren Leistung und Verfügbarkeit in dem angedachten Umfang eher theoretischer Natur und keineswegs praktisch gesichert. Sie werden deshalb, vor allem aber wegen ihres immensen Land-, Wasser- und Ressourcenverbrauchs kritisch gesehen, sind jedoch trotzdem Teil der angegebenen Entwicklungspfade.

Grundsätzlich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass umfassendes Geoengineering, also die globale Beeinflussung der Umwelt im großen Maßstab, in diesem IPCC-Bericht abgelehnt wird: In einem Satz (C1.4) werden Techniken des Solar Radiation Managements (SRM) als riskant und unsicher eingeschätzt, weshalb sie in die hier dargestellten Emissions-Entwicklungspfade nicht einbezogen wurden. Solche Verfahren des Geoengineerings gelten auf Grund ihrer Komplexität als nicht beherrschbar und werden von vielen Menschen deshalb grundsätzlich abgelehnt. Die beispielhaft dargestellten Emissionsminderungspfade sind wie folgt charakterisiert:

  • Der Entwicklungspfad P1 ist gekennzeichnet durch eine schnelle und drastische Verringerung des Energieverbrauchs aber auch einen Anstieg des Lebensstandards, vor allem im globalen Süden. Die Energiequellen werden zügig dekarbonisiert. Aufforstung ist hier die einzige Methode, um der Atmosphäre CO2 aktiv zu entziehen.
  • Der Entwicklungspfad P2 orientiert umfassend auf Nachhaltigkeit in allen Bereichen. Er orientiert auf Ausgleich und internationale Kooperation. Erforderlich sind umfassende Aufforstung und eine gesellschaftliche Akzeptanz von BECCS in einem gewissen, begrenzten Umfang.
  • Der Pfad P3 wird als „Mittelweg-Szenario“ dargestellt. Er folgt historischen Vorgaben und erfordert eine langsamere Absenkung des Energieverbrauchs. Geoengineering in Form von BECCS muss in größerem Maßstab Anwendung finden.
  • Der Entwicklungspfad P4 geht davon aus, dass die Emission von CO2 kurzfristig noch ansteigen und erst relativ spät absinken wird. Er ist durch einen treibhausgasintensiven Lebensstil einschließlich eines hohen Energieaufwands für Mobilität geprägt. Die Netto-Emissionsreduzierungen kommen hauptsächlich aus der breiten Anwendung von BECCS. Dieser Pfad führt im Gegensatz zu den drei anderen zu einer zwischenzeitlichen Erhöhung der Temperatur bis dicht an 2°C, was die Gefahr des Überschreitens von Kippunkten (z. B. das Abschmelzen der Polkappen) vergrößert, die zu irreversiblen Veränderungen führen können.

Im unteren Teil der Übersicht ist tabellarisch dargestellt, wie sich die Daten für die Emission von Treibhausgasen, den Energieverbrauch, die Zusammensetzung der Primär-Energiequellen und andere Daten im Einzelnen entwickeln sollen – jeweils für das Jahr 2030 und 2050. Die Analyse der Zahlen zeigt folgende Auffälligkeiten:

  • Alle Emissionspfade orientieren auf einen schnellen und drastischen Ausstieg aus der Nutzung von Kohle. Dies sollte für Deutschland ein Signal für einen sofortigen, schnellen und umfassenden Ausstieg aus der Kohleverstromung sein.
  • Alle Emissionspfade sehen im Vergleich zu 2010 eine mehr oder weniger deutliche Erhöhung der Nutzung von Kernenergie vor. Angesichts der bekannten Probleme im Zusammenhang mit der Nutzung von Kernenergie, insbesondere mit der ungelösten Frage der Entsorgung der hochradioaktiven Abfälle ist dieser Ansatz mehr als fragwürdig.
  • Bis auf den ersten Pfad (P1) sehen alle anderen Pfade die Anwendung von Verfahren zur aktiven Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre vor. Die betrifft konkret das Bioenergie-CCS (BECCS). Auf Grund der der Unklarheit, ob dieses Verfahren in dem angedachten Umfang überhaupt technisch funktioniert ist auch dieser Ansatz grundsätzlich in Frage zu stellen. Hinzu kommt bei BECCS der immense Landverbrauch für den Anbau der entsprechenden Energiepflanzen, der dann für die Ernährung nicht mehr zur Verfügung steht.

Insbesondere die zuletzt herausgearbeiteten Fakten des Einsatzes von Kernkraft und von BECCS erwecken den Eindruck, dass hier Ökonomen und Technokraten am Werk waren, denen es vor allem darauf ankommt Lösungen zu unterbreiten, die das aktuelle kapitalistische Wirtschaftssystem und den damit verbundenen Wachstumsfetisch nur ja nicht in Frage stellen.

Zielkonflikte und Synergien der Entwicklungspfade und der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen

Im letzten Teil des Berichtes werden die Wechselwirkungen zwischen den aufgezeigten Entwicklungspfaden und den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung der UN untersucht. Die Übersichtsdarstellung der Ergebnisse erfolgt in Form einer Grafik, die nachfolgend als Auszug dargestellt ist.

[Quelle: Grafik „Indicative linkages between mitigation options and sustainable development using SDGs“ auf Seite 27]

Im Bericht wird festgestellt, dass es zahlreiche Synergien wie auch Zielkonflikte zwischen den Entwicklungspfaden hin zu einer Begrenzung der globalen mittleren Temperaturerhöhung auf 1,5°C und den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung der UN gibt. Synergien sind vor allem bei den Zielen 3 (Gesundheit), 7 (saubere Energie), 11 (Städte und Kommunen), 12 (verantwortungsvolle Konsumtion und Produktion) und 14 (Ozeane) sehr wahrscheinlich. Zielkonflikte drohen in den Bereichen 1 (Armut), 2 (Hunger), und 6 (Wasser), wenn die Entwicklungen nicht mit großer Sorgfalt gemanagt werden.
Der Entwicklungspfad P1 hat die meisten Synergien und die wenigsten Zielkonflikte und ist insofern der beste der aufgezeigten Möglichkeiten, das 1,5°C-Ziel zu erreichen. Im Weiteren beschreibt der IPCC-Bericht soziale Gerechtigkeit und reduzierte Ungleichheit als zentrale Aspekte einer klimaresilienten Entwicklung. Auch die Bedeutung der Anwendung von lokalem und indigenem Wissen wird betont.

Als Fazit mag an dieser Stelle dienen, dass es dem IPCC mit diesem Bericht gelungen ist, die Bemühungen um eine Einhaltung des 1,5°C-Ziels umfassend zu begründen und die Einhaltung einer 2°C-Grenze als zu gefährlich für die Menschheit darzustellen. Gleichzeitig werden Wege aufgezeigt, wie das 1,5°C-Ziel erreicht werden kann. Diese Wege sind jedoch hinsichtlich des vermehrten Einsatzes von Kernkraft und dem erforderlichen Einsatz von Techniken zur aktiven Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre (BECCS) als fragwürdig zu beurteilen.

Die eigentlich längst bekannten Möglichkeiten, unsere gesamte Produktions- und Lebensweise, unseren Lebensstil zu ändern, die fossilen Brennstoffe einfach im Boden zu lassen, Subventionen klimaschädlichen Verhaltens abzubauen, Wirtschaftskreisläufe zu dezentralisieren und zu regionalisieren, die Landwirtschaft und damit verbunden unsere Ernährung umzubauen, und, und, und … – die Liste kann beliebig fortgeschrieben werden – all diese Möglichkeiten fehlen in den angeführten Entwicklungspfaden. Sie würden sehr wahrscheinlich auch zur Einhaltung des 1,5°C-Zieles führen und die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN noch besser treffen als der im Bericht aufgezeigte Entwicklungspfad P1.

In diesem Sinne bleibt nach wie vor viel zu tun.
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