Zwischen kritischer Sozialarbeit und konkreter Utopie – Das Sozialpolitischen Forum 2008 in Niederkaufungen

Zu dritt machten wir uns dieses Wochenende (5.-7.9.08) auf in die Kommune Niederkaufungen (bei Kassel), um uns am diesjährigen Sozialpolitischen Forum, vor allem organisiert von der AG SPAK (Arbeitsgemeinschaft Sozialpolitischer Arbeitskreise), zu beteiligen. Neben dem Wiedertreffen und Kennenlernen von lieben Menschen, die sich mit vielfältigen sozialpolitischen Projekten beschäftigen, freute uns besonders das Wiedersehen mit Rolf Schwendter und der kleine Rundgang durch die Kommune.
Inhaltlich gelang der schwierige Spagat zwischen perspektivisch nicht gerade hoffnungsvoll stimmenden Erwerbslosen- und Hartz-IV-Themen und der konkreten Utopie einer globalen Peer-Ökonomie.

Gespräch in der Kommune Niederkaufungen

Kritische Sozialarbeit und „Geschichte der Zukunft“ – Beiträge von Rolf
Schwendter

In seinem Beitrag „Was ist heute kritische Sozialarbeit“ bilanzierte Rolf
Schwendter die gegenwärtige Lage unter dem Motto: „Jeder für sich und der Weltmarkt gegen alle“. Die Wiederkehr des Hungers auch in den angeblich hochentwickelten Ländern macht kaum Hoffnung auf befriedigende Fortschritte in kürzerer Zeit. Wenn Sozialarbeit nicht nur das Elend begleiten will, sondern einen kritischen Charakter ausprägen möchte, muss sie weiterhin auf
Engagement und Parteilichkeit beruhen, sowie aus der theoretischen
Durchdringung der Gegebenheiten die Fähigkeit schöpfen, auch in aussichtslos erscheinender Lage sinnvolle und weitreichende politische Forderungen zu stellen. Angesichts der um sich greifenden gesellschaftlichen Vereinzelung kommt es auch darauf an, alle Initiativen zu vernetzen, die punktuell zu helfen in der Lage sind.
Der Beitrag von Rolf folgte seiner Veröffentlichung in WIDERSPRÜCHE, Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich. In der Diskussion wurde vor allem besprochen, in welcher
Weise der „Doppelcharakter von Hilfe und Herrschaft“ (Schwendter) sich heute zeigt und wie kritische und engagierte Sozialarbeit damit umgehen kann.

Der AG SPAK Verlag plant derzeit, den dritten Band von Rolfs Buch „Geschichte der Zukunft“ heraus zu geben und es wurde festgestellt, dass die Inhalte dieser Schrift für Jüngere eine gute Möglichkeit sein werden, ältere Diskurse und Praktiken kennen zu lernen – dass es aber vielleicht auch darum gehen muss, neuere Ansätze, beispielsweise aus der Freien Software, der Commons- und Peer-Ökonomiedebatte und -praxis einzubeziehen.

Zu einem weiteren Buch von Rolf sagte er passenderweise: „Die vielen Prognosen, von denen das Buch wimmelt, sind ja mitterweile eingetreten… – oder auch nicht.“ 😉

Berichte aus der sozialen Arbeit – besonders im Erwerbslosen- und Hartz-IV-Bereich

Es gab Berichte von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen e.V., dem Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen und des Aktionsbündnisses Sozialproteste, sowie weiteren Projekten und Netzwerken. Unter anderem wurde berichtet, dass es in der Erwerbslosenbewegung immer wieder zu Zerwürfnissen darüber kommt, ob das Ziel eines Mindesteinkommens im Mittelpunkt stehen sollte oder nicht, und ob es notfalls im eigenen Projekt zur Nutzung der 1-Euro-Jobs kommt oder diese grundsätzlich und auch praktisch abgelehnt werden. Auch die unterschiedliche politische Kultur von eher vormundschaftlicher Fürsorge für die Armen und Betroffenen im Gegensatz zu einer auf Selbstorganisation setzenden Aktivität sorgt für ständige Konflikte. Angesichts der Perspektive einer weiteren Verschärfung des Sozialabbaus fordert vor allem Anne Allex eine „Neuorientierung der Erwerbslosen- und gewerkschaftlichen Arbeit“. Eine
Kampagne, die sich an den Zahlen „10-30-500“ orientiert, stellte Edgar Schu vor: Es geht um eine zusammenhängende Triade der Forderungen nach 10 Euro Mindestlohn, 30-Stundenwoche und repressionslosem Grundeinkommen von 500 Euro. Als unmittelbare, erfolgversprechende und deshalb ermutigende Kampagne stellte er eine Initiative gegen die Kürzung der Regelsätze für Kinder von 7 bis 17 vor.

Kind im Schraubstock

Im Sinne der von Rolf Schwendter genannten notwendigen Vernetzung erfolgten im Rahmen des Sozialpolitischen Forums weitere Informationen über Projekte mit der Bitte um Beteiligung und Unterstützung. So informierte Anne Allex über eine geplante Gedenkstätte für als „Asoziale“ Verfolgte des Naziregimes, bei der das Gedenken unmittelbar im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Hetzkampagnen gegen „Sozialschmarotzer“ steht.

Nachdem die früheren Aktivitäten der AG SPAK und der Sozialpolitischen Gesellschaft im Bereich alternativ-kritischer Gesundheits- und auch Antipsychiatriepolitik eingeschlafen sind, gibt es neue Ideen im Umfeld einer neuen SommerAkademie zur Gesundheitsförderung, die sich für eine „Gemeindebezogene Gesundheitsförderung“ ausspricht. Eberhard Göpel sprach sich dabei dafür aus „Gesundheit-Lebenswelten gemeinsam zu gestalten“. In
diesem Kontext entsteht derzeit ein Netzwerk Gesundheitsförderung im Alltag für Alle (GiA). (siehe zu Gesundheitsinitiativen http://www.gesundheits.de/)

Über einen anderen grundlegenden Lebensbereich sprach Heinrich Haußmann, als er das Nürnberger Projekt WIGWAM, Wohnen in Gemeinschaft – Wohnen als Mieter, vorstellte.

Neue Netzwerke

Diese beiden Projekte, unter vielen anderen vorgestellten (siehe z.B. auch „Küstenakademie“), erwähne ich hier deshalb, weil sie letztlich Beispiele dafür sind, wie auch jetzt schon Menschen sich miteinander vernetzen, um gemeinsam Projekte zu entwickeln, die grundlegende Lebensbereiche dem kapitalistischen Kommerz weitestmöglich zu entziehen versuchen. Damit ist der Bogen geschlagen zu einem weiteren Schwerpunkt des Sozialpolitischen Forums 2008. Christian Siefkes stellte – auch für interessierte Kommunardinnen und Kommunarden der Kommune Niederkaufungen – die Grundideen
seines Buches „Beitragen statt tauschen“ vor und stieß auf viel Interesse.
Frühere Netzwerk- und Alternative Ökonomiepraxen und neuere Versuche, auch moderne Hightech und Informatik einzubeziehen, trafen aufeinander und bereicherten sich. Es ist zu hoffen, dass daraus eine neue Qualität entsteht, die uns aus den gefährlichen Tiefen des immer inhumaner werdenden und in Ökokatastrophen steuernden Kapitalismus herausbringen kann.

Beste Grüße
von Annette zp-pdl.com