Seit 2004 sind die Hartz-Gesetze wirksam. Vier Jahre später sind deren Auswirkungen nach wie vor noch nicht umfassend erkennbar, jedoch lassen sich Trends bereits gut nachweisen: So wird die Statistik durch die sogenannten Ein-Euro-Jobs nachhaltig geschönt, entwickeln sich Armut und speziell Kinderarmut zu einem Desaster und haben sich die durchschnittlichen Einkommen insgesamt in Deutschland seitdem deutlich abgesenkt. Besonders die unteren Einkommen sind dabei überdurchschnittlich gesunken. Das Mehr an Arbeitsstellen durch die Konjunkturentwicklung 2007 besteht hauptsächlich aus Billigjobs und Zeitarbeits-Stellen.
Wie der hier dargestellte Beitrag zeigt, wurden diese Entwicklungen im wesentlichen bereits 2004 prognostiziert.
Inhaltsverzeichnis dieser Seite
- Einige Gedanken zu den Hartz-Gesetzen
- Massenarbeitslosigkeit kennzeichnet einen absurden Zustand
- Produktivitätszuwachs erzeugt "Überbevölkerung"
- Löhne als angeblicher Grund für Insolvenzen und mangelnde Beschäftigung
- Die Sache mit den Lohnnebenkosten
- Das gesellschaftlich anerkannte Problem der Arbeitslosigkeit als Drehtür
- Jobcenter, Personalserviceagenturen (PSA) und Ich-AGs
Einige Gedanken zu den Hartz-Gesetzen
Seit einigen Wochen sind die Konsequenzen der so genannten Hartz-Gesetze so weit in das Bewusstsein vieler Menschen gedrungen, dass diese auf die Straße gehen und dagegen demonstrieren. Der Protest erscheint logisch, geht es doch an die Substanz vieler betroffener Menschen. Zwischen Vier und fünf Millionen Menschen sind hierzulande arbeitslos. Was hat das für Folgen?
Gesamtwirtschaftlich gibt es zumindest keine negativen Folgen: Mit Ausnahme des Jahres 1993 (- 1,1 %) ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den vergangenen 12 Jahren jeweils real gestiegen.
Das bedeutet nichts anderes, als dass mit immer weniger Arbeitskräften immer mehr erwirtschaftet wird. Zunächst drückt sich das erst einmal nur in Form von Geld aus. Schaut man sich die tatsächliche Warenwelt an, so ist auch dort zumindest von einem materiellen Mangel weit und breit nichts zu entdecken. Im Gegenteil, alle erdenklichen Warenkörper werden in Hülle und Fülle und in zig Ausstattungsvarianten angeboten. Die Situation, dass es irgendetwas nicht zu kaufen gäbe, gibt es schlichtweg nicht.
Es gibt sicher viele Gründe, warum bestimmte Waren nicht produziert werden, oder warum auch einmal eine Warenproduktion oder das Anbieten von Dienstleistungen eingestellt wird, aber das liegt bestimmt nicht daran, dass es an den nötigen materiellen Voraussetzungen fehlen würde oder dass man technisch dazu nicht in der Lage wäre, dass Rohstoffe fehlen würden oder ähnliches. Genau genommen gibt es gar nicht so viele Gründe, sondern eigentlich nur einen einzigen, wenn eine Ware nicht mehr produziert wird: Wenn mit dem Produktionsprozess kein Gewinn erwirtschaftet werden kann.
Massenarbeitslosigkeit kennzeichnet einen absurden Zustand
In jeder Gesellschaft, in der es auf den Gebrauchswert der Waren, auf den durch den Gegenstand vermittelten Nutzen ankäme, wäre dies ein Grund zur Freude. Dank der enorm gestiegenen Produktivität würde der Aufwand zur Produktion derselben Gütermenge immer weiter sinken. Es würde etwas weniger Plackerei, Mühe, Zeitaufwand bedeuten, der Übergang zur Freizeit- und Spaßgesellschaft hätte tatsächlich seinen Anfang genommen. Man hätte mehr Zeit sich zu bilden, die Kulturlandschaft könnte in nie da gewesener Form erblühen, der Feierabend setzte bereits am Mittag ein usw. usf.
Wie man aber aktuell sieht, ist das in unserem gegenwärtigen Wirtschaftssystem, der Marktwirtschaft, gar nicht so. Zunächst mal ist es für diejenigen, die nicht mehr arbeiten kein Glück sondern ein ausgesprochenes Pech. Die ca. 10 - 12% der erwerbsfähigen Bevölkerung, die vom Produktionsprozess ausgeschlossen sind, werden nicht mehr gebraucht und sind damit quasi mittellos. Da aber der eiserne Grundsatz gelten soll, nach dem ein Mensch, dessen Anwendung seiner Arbeitskraft für die Unternehmer nicht lohnend ist, selbst nichts verdient, ist dieser umso nötiger darauf angewiesen, wieder in Lohn und Brot gestellt zu werden.
Es ist schon reichlich absurd: So ein Arbeitsloser wird von den Arbeitgebern nicht gebraucht (sonst wäre er nicht arbeitslos..), also ist er umso dringender genau darauf angewiesen!?! Er kann und will arbeiten - von den "Drückebergern" und Leuten, die sich in den "sozialen Hängematten" ausruhen soll hier nicht die Rede sein - und er muss arbeiten. Er darf aber nicht. Sicher, es ist ihm nicht verboten körperliche Tätigkeiten zu verrichten, das soll nicht gesagt sein. Nur bezahlt werden sie nicht. Und er hat kein anderes Mittel in der Hand! Er ist unfähig gemacht worden, selbst für die Befriedigung seiner Bedürfnisse zu sorgen, weil diese über das Geld vermittelt ist und er selbst keine Produktionsmittel besitzt.
Die halten diejenigen in der Hand, die ihm eben gesagt haben, dass seine Arbeitskraft zur Bedienung dieser Mittel nicht mehr gefragt ist. Es bewahrheitet sich an der Arbeitslosigkeit die Aussage von Marx, dass die Arbeitnehmer bloßes Arbeitsvermögen sind. Und ob aus der Möglichkeit auch eine Wirklichkeit wird, liegt an dem Produktionsmittelbesitzer. Nur wenn der ihn ranlässt an seine Produktionsmittel, wird aus dem bloßen Arbeitsvermögen auch tatsächlich geleistete Arbeit. Aber auch da gibt es noch eine weitere, allgegenwärtige Schranke: Die Arbeit findet nur dann statt, wenn mit ihr ein Gewinn erwirtschaftet werden kann.
Bei gleichzeitigem Überfluss leiden also Millionen Menschen Mangel und sinken immer weiter in die Armut, weil vor die Erlaubnis zu arbeiten eine Bedingung gesetzt ist - die Bedingung, dass diese Arbeit andere reicher machen muss. Das ist nichts neues, dieser Zusammenhang wird als Notwendigkeit in diesem Wirtschaftssystem von allen akzeptiert: "Na ja, Gewinn muss der Laden schon abwerfen..."
Oder anders gesagt: Massenarbeitslosigkeit in der Markwirtschaft kennzeichnet einen absurden Zustand, in dem die Gesellschaft die Arbeit von Millionen nicht braucht, diese aber unbedingt Arbeit brauchen.
Produktivitätszuwachs erzeugt "Überbevölkerung"
Es wurde bereits davon gesprochen, dass kein materieller Mangel herrscht. Andererseits ist es ja aber auch nicht so, dass man keine weiteren Wünsche hätte.
Das können Konsumgüter sein, das können aber auch immaterielle Dinge sein. Welcher Lehrer wünschte sich nicht kleinere Schulklassen, welche Krankenschwester und welcher Patient nicht mehr Krankenschwestern und größere Krankenzimmer usw. Die dafür erforderliche Arbeit ist jedoch gesellschaftlich nicht notwendig. Das ist keine Geschmackssache oder das Werturteil eines Einzelnen.
Das Maß, was an gesellschaftlicher Arbeit notwendig ist, wird definiert durch diejenigen, die man "die Wirtschaft" nennt. Ökonomisch notwendig ist damit schlicht die Arbeit, die zu solchen Produkten führt, die mit Gewinn zu verkaufen sind.
Dafür aber sind Millionen Menschen überflüssig, wie die aktuelle Situation zeigt. Marx spricht an dieser Stelle von "Überbevölkerung". Und warum sind so viele dafür überflüssig? Weil die Arbeit, die die Gewinne realisiert, schon so enorm produktiv ist. Die Millionen von Menschen werden nicht gebraucht, weil die, die gebraucht werden, so produktiv arbeiten, dass alles, was Unternehmen mit Gewinn verkaufen können, schon längst hergestellt wird. Von Jahr zu Jahr wird der Arbeitsablauf effektiver, werden Arbeitnehmer zunehmend durch Maschinen ersetzt, werden produktivere Maschinen von der Restbelegschaft bedient usw.
Setzt man die Produktivität des Jahres 1990 als 100%, so betrug sie im Jahre 2000 bereits 126%. Kaum jemand unter den "glücklichen" Arbeitsplatzbesitzern, der nicht ein Lied von der ständig steigenden Arbeitshetze singen könnte.
Löhne als angeblicher Grund für Insolvenzen und mangelnde Beschäftigung
Gerade im vergangenen Jahr verging wohl kaum eine Woche in der nicht irgendein Konzern Massenentlassungen bzw. Stellenabbau im großen Stil ankündigte. Und die Zahl der Konkurse jagt von einem Rekord zum nächsten.
Behauptet wird nun vielfältig, dass die hohen Löhne und Gehälter daran (mit) schuldig seien. Auch in Bezug auf das bestehende Arbeitslosenheer wird dieses Argument vorgebracht: Die hohen Löhne sind im Prinzip das Beschäftigungshindernis schlechthin.
Dem ist jedoch keineswegs so. Im Gegenteil: Das Ganze ist pure Ideologie. Folgende Argumentation möge das belegen: Wenn ein Unternehmer mit der Herstellung eines Produktes Gewinn machen kann, dann stellt er die Leute ein und zahlt den Lohn, der verlangt ist. Dann ist der Lohn gerade kein Hindernis fürs Gewinne machen. Rentiert sich jedoch die Arbeit nicht mehr, dann stellt er keinen ein und so manchen aus, aber auch nicht deswegen, weil sie zuviel Geld kosten, sondern weil bei diesen Kosten kein Gewinn zu erwirtschaften ist. Die absolute Lohnsumme, die ein Unternehmen zahlt, sagt über das Verhältnis von Vorschuss (Aufwendungen) zu Rückfluss (Ertrag) überhaupt nichts aus.
Mal ein bisschen suggestiv gefragt: Wer kauft Autos? Wer muss sie sich leisten können? Muss der als Kaufkraft fungierende Lohn eines potentiellen Autokäufers nicht so hoch sein, dass er es sich leisten kann?
Nehmen wir den Fall, dass ein Unternehmen expandiert, tatsächlich mal zusätzlich Leute einstellt und einen zusätzlichen Produktionsstandort aufmacht, und nehmen wir weiterhin an, die dort produzierten Waren finden Käufer, wodurch die Waren mit Gewinn verkauft werden. Dann ist trotz der gestiegenen Lohnsumme, die das Unternehmen zahlt, der Gewinn gestiegen. Ein Beispiel dafür ist Porsche. Porsche produziert fast ausschließlich in Deutschland und zwar übertariflich und mit 13 Monatsgehältern. Bei Leipzig wurde vor einiger Zeit ein völlig neuer Produktionsstandort eröffnet. Porsche beschäftigt sogar hochbezahlte so genannte "Sounddesigner", die darauf achten, dass ein Porsche-Motor auch wie ein Porsche-Motor klingt. Dieses Unternehmen konnte seinen Gewinn in den letzten 5 Jahren permanent steigern.
Allgemein gilt: solange sich für ein Produkt eine zahlungsfähige Nachfrage finden lässt, deren Wert einen Gewinn realisiert, wird Lohn gerne gezahlt. Doch wehe, wenn sich Porsche-Fahrer grausig von ihrem ehemaligen Lieblingsgefährt abwenden, weil sie den typischen Sound vermissen, dann rosten die Nobelautos plötzlich auf dem Betriebsgelände vor sich hin. In diesem Fall hat dann die Einsparung des Lohns für den Sounddesigner, also die Senkung der Lohnkosten nicht zu einer Gewinnsteigerung geführt sondern zum absoluten Gegenteil.
Die Beispiele mit der Expansion sind in letzter Zeit rar geworden. Blicken wir noch mal auf die Massenentlassungen bzw. Stellenabbauaktionen der jüngeren Vergangenheit. Diese Maßnahmen bewirken doch, dass die absolute Lohnsumme, die das einzelne Unternehmen an seine Belegschaft zahlt sinkt, und zwar selbst dann, wenn der einzelne Arbeiter durch die heroischen Heldentaten seiner Gewerkschaft mehr bekommt. Wenn Ford 15.000 Menschen entlässt und den verbliebenen Arbeitern jeweils - sagen wir - 1,7% mehr zahlt, dann ist die Gesamtlohnsumme sicher gesunken.
Wenn nun auch der Produktausstoß nicht sinkt (die Zulassungszahlen lassen darauf schließen), dann steigt also der Gewinn pro Produkt. Selbst wenn nun die ausgestoßene Produktmenge sinkt, stimmt das bis zu einem gewissen Grad auch noch. Dann kann zwar kein wachsender Gewinn realisiert werden, aber eben überhaupt noch welcher. Erst wenn auch das nicht mehr klappt, dann geht die Firma in Konkurs.
Und daran ist im gegebenen Fall dann auch nichts mehr zu drehen. Wer beispielsweise meint, der Holtzmann-Konzern hätte dadurch gerettet werden können, dass die Beschäftigten zu einem Sonder-Billigtarif antreten, der irrt sich über die Natur von Konkursen. Das Porsche-Beispiel gab schon einen ersten Hinweis. Man kann auch mal ein Blick in die Insolvenz-Statistik werfen. Ungefähr ein Viertel der Gesamtzahl aller Konkurse betrifft das Baugewerbe. Ausgerechnet der Sektor, der für das Zahlen von Niedrig- und Niedrigstlöhnen bekannt ist und auf dem noch billigere Schwarzarbeit an der Tagesordnung ist.
Ausgerechnet da sollen also die Löhne zu hoch sein bzw. die Höhe der Löhne der Grund für den Konkurs? Das ist nicht gerade einleuchtend.
Was aber ist, wenn einfach niemand mehr ein drittes Bürogebäude oder ein fünftes Wohn- und Geschäftshaus braucht? Da können die Löhne noch so niedrig sein: wenn diese Arbeit, genauer das Arbeitsprodukt, nicht gefragt ist, dann wird man damit auch keinen Gewinn erzielen können. Also der Konkurs findet statt, weil man keinen Umsatz macht, weil man nicht in der Lage ist, zahlungsfähiges Nachfrage auf sich zu ziehen! Nun könnte man einwenden: Aber wenn die Löhne noch niedriger wären und der Bauunternehmer seine Gebäude dadurch billiger anbieten könnte, dann würde doch vielleicht der eine oder andere doch sein Ferienhaus an der Ostsee in Auftrag geben!? Gewiss, das wäre eine gute Bedingung, eine Garantie ist das aber noch lange nicht.
Die Sache mit den Lohnnebenkosten
Die so genannten Lohnnebenkosten sind ihrer ökonomischen Natur nach nichts anderes als Lohn. Wenn der Lohn definiert wird als die Summe Geld, die den Arbeitern gezahlt wird, damit die sich "reproduzieren" können, dann schließt das die "Wechselfälle" des Lohnarbeiterseins mit ein. D. h., die Lohnsumme muss über das normale Arbeiterdasein hinaus auch für die Zeiten reichen, in denen der Arbeiter zufällig gerade nicht arbeiten kann, denn eine andere Einkommensquelle hat er schließlich nicht.
Man muss sich das immer wieder vor Augen führen: Jemand, der sich nicht lohnend anwenden lässt, genießt im Prinzip keine Daseinsberechtigung - wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen lautet der archaische Grundsatz. Die Zeiten bzw. Umstände, in denen er nicht arbeiten kann sind Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter. Damit die Arbeiter nicht gezwungen sind am Hungertuch zu nagen, falls sie von diesen Wechselfällen betroffen sind, müssen sie über den Lohn hinaus, den sie augenblicklich benötigen, eine Absicherung haben. Diese Summe sollte sie - zumindest eine Zeit lang - in die Lage versetzen, a) zu überleben und b) so zu überleben, dass sie - sobald sie gesundet sind oder einen neuen Arbeitgeber gefunden haben - wieder arbeitsfähig sind.
Die Arbeiter tun also gut daran, ein bisschen von ihrem Lohn auf "die hohe Kante" zu legen, vorzusorgen. Das gilt erst recht fürs Alter, also für die Zeit, in der schlicht die körperlichen Voraussetzungen irgendwann nicht mehr erfüllt sind, um eine Anstellung finden zu können. Und es gilt auch nicht nur für die einzelne Arbeitskraft, es gilt darüber hinaus für alle Menschen, die vom Lohn leben, obwohl sie gar keine Arbeitskraft zu verkaufen haben: Das können die Kinder, die Frau, der Mann, die Großeltern sein.
Nun ist es in der sozialen Marktwirtschaft so eingerichtet, dass sich der Staat überhaupt nicht darauf verlässt, dass die Arbeiter von ihrem Lohn immer einen Teil weglegen; er hat eine gesetzliche Zwangs-Sozialversicherung eingerichtet. Der Zwang ist erst aufgehoben, wenn der Lohn eine gewisse Summe übersteigt und der Staat sich einigermaßen sicher sein kann, dass dann tatsächlich am Monatsende ein gewisser Betrag übrig ist, zumindest im Prinzip erübrigt werden kann. Die Beiträge, die der Staat auf diese Weise einsammelt, verwendet er dann, um den Leuten, die momentan keinen Lohn erhalten, einen Lohnersatz zahlen zu können.
Die Beiträge, die dafür an der Quelle eingezogen werden, also direkt vom Konto des Arbeitgebers in die Sozialkassen fließen, sind im Sinne obiger Definition Lohnbestandteile. Dabei ist es völlig egal, wie man das rein formal auf einen Arbeitgeber- und einen Arbeitnehmeranteil aufteilt. Man könnte einerseits sagen: der Arbeitgeber zahlt den gesamten Betrag, einen Teil des Lohns bekommt der Arbeiter auf sein Konto, den anderen Teil des Lohns gibt er dem Staat zur "Verwahrung", so dass dieser im Sinne des Arbeiters damit umgeht und ihn für die Wechselfälle absichert.
Oder man kann andererseits sagen: der Arbeiter zahlt den gesamten Betrag, er bekommt einen Gesamtlohn und von dem fließt ein Teil auf sein Konto und einen anderen Teil bekommt er gar nicht zu Gesicht, weil die gleich auf die Staatskonten fließen. Für den Unternehmer ist diese Betrachtung egal: Er muss immer mit einer Gesamtlohnsumme kalkulieren! Damit ist eigentlich der Begriff der Lohn-"neben"-kosten unsinnig.
Und warum regt sich der Unternehmerstand gemeinhin so über die Lohn-"neben"-kosten auf? Weil für sie die Löhne natürlich nie niedrig genug sein können. Und in den Zeiten, wo auf eine offene Stelle 120 (qualifizierte) Bewerber kommen, muss er sich doch nicht darum kümmern, dass Jobsuchende nicht sofort verelenden. Die Kritik an zu hohen Lohnnebenkosten lebt von dem radikalen Standpunkt, dass der Unternehmer ausschließlich für angewendete und lohnende Arbeitskraft zu zahlen bereit ist. Dieser fragt sich tatsächlich, warum denn ausgerechnet er für Arbeitslose Lohn zahlen soll; die lohnen sich für ihn doch gar nicht!
Warum klagen die Unternehmer nun zusehends über die Lohnnebenkosten? Weil sie ständig steigen. Und warum steigen sie ständig? Die Antwort war schon angedeutet: weil der gezahlte Lohn für die gesamte Arbeiterklasse reichen muss, auch für die Teile der Klasse, die momentan nicht arbeiten, nicht arbeiten dürfen, nicht arbeiten können. Von diesem Standpunkt ist der Staat bisher im Prinzip nicht abgewichen. Bei immer weniger Beitragszahlern, denen immer mehr Anspruchsberechtigte gegenüberstehen hat das natürlich Folgen: Da der Staatshaushalt nicht dazu da ist, der nicht in Lohn und Brot stehenden Bevölkerung ein angenehmes Leben zu finanzieren, muss das reichen, was die Kassen eben noch hergeben. Da ist also Anpassung angesagt, und zwar wie immer nach beiden Seiten hin: die Beiträge werden erhöht und die Leistungen für die Anspruchsberechtigten werden zunehmend zusammengestrichen.
Der Staat ist inzwischen dabei, sich von dem oben angegebenen Standpunkt zu verabschieden. Es findet eine fundamentale Neuerung statt. Wenn immer mehr Leute dauerhaft keine Arbeit finden, wenn 50-jährige schon ausgesprochenes "Glück" haben müssen, um je wieder eine Anstellung zu finden, dann hat sich herausgestellt: Ein gewisser Teil der arbeitsfähigen Bevölkerung wird schlicht nicht gebraucht, dieser Teil ist überflüssig. Gerade die Zahl der Langzeitarbeitslosen und die Dauer, die sie arbeitslos sind, haben in den letzten Jahren dramatisch zugenommen.
Der Staat gibt seinen Standpunkt auf, nachdem das Halten einer materiell einigermaßen abgesicherten arbeitslosen "Reservearmee", die sich bis zum Zeitpunkt und zum Zweck ihrer nächsten Anstellung fit hält, ein kapitalnützlicher Dienst ist. Wenn die so Ausgemusterten im Leben nicht mehr angestellt werden, dann ist ihre Versorgung eine reine Verschwendung. Diesen "Luxus" will sich der Staat künftig nicht mehr, oder nicht mehr in gleichem Umfang wie bisher leisten. Wo kommen wir denn da hin...?
Na, immerhin zu der schönen Wahrheit, dass die Arbeitslosen- und Krankenversicherung nie eine soziale, eine fürsorgliche Erfindung war. Kaum lohnen sie sich nicht mehr, die Versicherungen, werden sie mehr oder weniger abgeschafft, zumindest stufenweise an die Dienste für das Kapital so angepasst, dass sie in ihrem veränderten Daseinszweck diesen Dienst dann doch noch irgendwie erfüllen können. Genau in dieser Situation kommt dann Herr Hartz als Leiter einer Kommission ins Spiel, die die eben dargelegte "Anpassung" der Sozialsysteme besorgen soll und das auch getan hat...
Das gesellschaftlich anerkannte Problem der Arbeitslosigkeit als Drehtür
Ein klein bisschen erstaunlich könnte man es schon finden, dass Politiker den Skandal der Massenarbeitslosigkeit überhaupt nicht Kleinreden, verschweigen. Im Gegenteil, Arbeitslosigkeit ist als das gesellschaftliche Problem anerkannt. Arbeitslosigkeit ist die letzte gültige Fassung der "sozialen Frage".
Und dennoch muss niemand fürchten, dass diese implizite Kritik am System einmal nach hinten losgeht, dass dann z. B. mal in den Zeitungen steht, was das hier für eine Gesellschaft ist, in der Reichtum und Überfluss zu Not und Elend führen.
Wieso eigentlich nicht? Weil das Thema der Arbeitslosigkeit wie eine Drehtür oder wie ein Transmissionsriemen wirkt bzw. so behandelt wird: Was reinkommt, als mitleidige Sorge um die Not der Arbeitslosen geht raus als Sorge um die Gewinne und die Gesundheit der Wirtschaft. Was reingeht als, ‚man hat Verständnis für die Probleme, die Arbeitslose haben', endet mit der Kritik, dass ‚Arbeitslose dem Staat und dem Staatshaushalt Probleme machen'. Was losgeht mit der Selbstkritik der Regierung, dass sie dem Volk nicht genug Erwerbsgelegenheiten zu schaffen vermag, endet mit einer Kritik der Arbeitslosen, dass sie nichts taugen. So erklären sich die Verwendung der Begriffe der "sozialen Hängematte", in der sich die Arbeitslosen ausruhen oder auch solche Vokabeln wie "Facharbeitermangel" oder "studienunfähige Schüler".
Wie funktioniert diese Drehtür? Durch eine Umdeutung des Problems. Die halbe Umdeutung geschieht schon allein durch die Verwendung des Wortes "Arbeitslosigkeit". Natürlich haben sie keine Arbeit. Ihr wahres Problem ist allerdings: sie haben kein Geld. Zu sagen, ihr Problem sei, dass sie keine Arbeit haben ist schon eine kleine semantische Verschiebung. Die Verschiebung liegt darin, dass man mit der Benennung des Problems quasi gleich die Lösung mitliefert. Das Verkehrteste bei der Problemlösung wäre sich zu fragen, woher Arbeitslosigkeit kommt oder warum es sie gibt. Dann würde eine fundamentale Kritik des Systems herauskommen, die glatt zu einer Ablehnung führen würde. Es gilt vielmehr praktisch und konstruktiv zu denken. Man muss lediglich alle Kritikpunkte in Bedingungen umwandeln, Bedingungen dafür, dass Arbeitslose wieder Arbeit "finden".
Erste Bedingung: Na ja, Gewinn muss das Unternehmen schon machen.... Also sind wohl so viele Menschen arbeitslos, weil sie sich nicht lohnen, weil sie nicht ergiebig genug sind. Wie kann man also den Arbeitslosen helfen? Offensichtlich dadurch, dass man sie für Unternehmer wieder ergiebiger macht. Wo liegt also der Fehler? Na, entweder bei den Sozialversicherungen oder den Arbeitslosen selbst. Sie sind zu teuer, sie müssten mehr arbeiten und weniger dafür bekommen, damit sie sich wieder lohnen würden, sie müssten flexibler werden, leichter handhabbar, weniger Rechte haben usw.
Als Grund für die Arbeitslosigkeit wird demnach immerzu so was genannt wie: "die Löhne sind zu hoch", oder "die Lohnnebenkosten sind zu hoch" oder "der Faktor Arbeit ist zu teuer" und und und. Also ergeht an die Arbeitslosen die Aufforderung, an sich Eigenschaften zu entwickeln, die sie für Unternehmer wieder lohnend machen. Weil die Arbeitslosen das im Prinzip aber gar nicht können (mit Ausnahme der Schwarzarbeiter) setzt die Politik das Programm um.
Warum braucht es eigentlich staatliche Gewalt, um das Programm umzusetzen? Letztlich, weil der Staat sich auf den "stummen Zwang der Verhältnisse" nicht mehr verlassen kann, dass die Menschen eigentlich ein Eigeninteresse an Arbeit haben, weil sie über keine andere Einnahmequelle verfügen.
Genau dieser Zwang funktioniert aber nicht mehr: Warum sollten die Menschen denn Arbeit wollen, die ihnen künftig nicht mehr einbringt als das heutige Arbeitslosengeld? Also muss der Staat schon Zwangsmaßnahmen erwirken, welche die Menschen zu einer Arbeit zwingen, die ihnen in ihrer Rechnung nicht mehr lohnend erscheint. Und an dieser Stelle setzen die so genannten Arbeitsmarktreformen an.
Jobcenter
Es wird ein Jobcenter geschaffen. Eine zentrale neue Stelle, die das Zwangssystem, das es bisher auch schon gab - Stellen anbieten, bei Nicht-Annahme Geld kürzen usw. usf. - zunächst mal ausbaut und verschärft. Des Weiteren ist ein zentrales Element des Jobcenters, dass es gleichermaßen für arbeitslos gewordene Mitglieder der Arbeitslosenversicherung wie für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger zuständig ist. Der rechtliche Unterschied zwischen ihnen wird eingeebnet.
Dies ist inzwischen auch finanziell mit dem Beschluss des sog. Arbeitslosengeldes II, der Zusammenlegung und Angleichung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, selbstverständlich in Höhe der Sozialhilfe, umgesetzt. Die "echten" Arbeitslosen bekommen dafür zusätzlich noch eine Neuregelung der Zumutbarkeit und eine neue Art von "Stellenvermittlung". Es ist ja schon lange nicht mehr so, dass man als Arbeitssuchender mal beim Arbeitsamt vorbeischaut, um zu gucken, ob die vielleicht eine passende Stelle anbieten.
Nein, der nette Mensch vom Arbeitsamt macht ein "Bewerberprofil", d. h. er taxiert, wofür der Arbeitssuchende überhaupt noch bloß in Frage kommt und dann muss der Taxierte sich bei den ihm zugewiesenen Stellen bewerben. Dabei muss er sich bedingungslos um diese Stelle kümmern, denn er bekommt noch eine weitere Nettigkeit an den Hals, nämlich die Umkehr der Beweislast im Falle, dass das Bewerbungsgespräch nicht erfolgreich war. Er muss beweisen, dass es nicht an seiner evtl. schlampigen Bewerbung lag, sondern der Unternehmer ihn wirklich nicht brauchen kann; sonst droht der zeitweise Entzug des Arbeitslosengeldes bzw. der Arbeitslosenhilfe oder die Kürzung derselben.
Personalserviceagenturen (PSA)
Sind die "Arbeitssuchenden" nach 6 Monaten nicht untergebracht, werden sie einer wirklichen neuen Einrichtung überantwortet, der PSA. Das ist kurz gesagt eine riesige, staatlich geleitete Zeitarbeitsfirma, in der Zwangsarbeit organisiert wird, in der das Arbeitslosenheer selbst bewirtschaftet wird. Die Arbeitslosen stehen der PSA zur Verfügung und können für Tage, Wochen oder auch längere Zeiträume an Unternehmen verschickt werden. Anders als das alte Arbeitsamt oder das neue Job-Center ist die PSA ein im rechtlichen Sinne echter Arbeitgeber und kann wie jedes andere Unternehmen auch alle bewährten Sanktionsprinzipien des Arbeitsrechts nutzen, beispielsweise Lohnkürzungen bei Arbeitsverweigerungen. Also: die Angestellten der PSA müssen im Falle eines Falles arbeiten. Aber: wie macht man das, dass die Unternehmer so einen neuen Zeitarbeiter auch nimmt? Ganz einfach: man befreit die Unternehmen von allem, was als Beschäftigungshindernis gelten könnte.
Und das ist in erster Linie die Lohnhöhe. Die Lohnhöhe wird künftig zwischen der PSA und dem Industrie- oder Handelsunternehmen ausgemacht, das den Angestellten der PSA ausleiht - und die kann Null betragen (kein Scherz). Maßgabe ist bei der PSA, beim Unternehmer nachzufragen: "Na, wie viel darf er denn kosten, dass Du ihn noch nimmst". Im letzten halben Jahr ist dann gefeilscht worden, ob der Lohn, den die PSA-Angestellten vom PSA bekommen, Tariflohn sein soll oder nicht usw. Herausgekommen sind Extra-PSA-Tarife, die weit unterhalb der üblichen Tariflöhne liegen.
Wichtig ist es, an dieser Stelle zu begreifen, dass hier der Lohn, den ein Unternehmer zahlt, getrennt wird von dem Lohn, den der Arbeitslose als Angestellter der Zeitarbeitsfirma des Arbeitsamts erhält. Und die Finanzmasse, mit der dieses Sonderangebot an die Unternehmer finanziert wird, speist sich aus dem Vermögen der Arbeitslosenversicherung, also aus den eingesammelten Beiträgen der Lohnarbeiter, die eigentlich mal für Notzeiten für diese zur Verfügung stehen sollten sowie aus Steuermitteln...
Ein zweites "Beschäftigungshindernis" sind die bereits erwähnten Lohnnebenkosten. Deshalb ist es völlig konsequent, die Unternehmer davon gänzlich zu befreien. Wie wird das gemacht? Ganz einfach, indem die PSA ihren Status als Arbeitgeber ernst nimmt: Die Arbeitslosen sind ja schon beschäftigt, nämlich bei uns! Also: jetzt muss auch die Krankenkasse und die Sozialversicherung und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung aus der Finanzmasse des Arbeitsamts gezahlt werden.
Und schließlich nimmt die PSA den Unternehmen auch noch den Kündigungsschutz ab, wieder mit demselben Gedanken wie eben schon: Der Arbeitslose braucht ja auch keinen Kündigungsschutz, der Arbeitslose, der ist ja schon bei uns angestellt.
Ich-AGs
Die Hartz-Pläne sehen nicht nur vor, mehr Arbeitslose zu vermitteln, sondern auch zusätzlich Beschäftigung zu schaffen. Was fällt ihm dazu ein? Die Schwarzarbeit! Interessant - denn ein echtes "Mehr an Beschäftigung" ist das natürlich nicht, die Schwarzarbeiter-Jobs gibt es ja schon! Hier wird sehr schön deutlich, was mit "Beschäftigung schaffen" überhaupt gemeint ist, nämlich: dass sich der Staat zusätzlich Reichtumsquellen erschließen will! Darüber wird Hartz ein echter Fan von Schwarzarbeit, ein Wirtschaftssektor auf dem sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einem echt freien Markt, frei vom Korsett der Tarifverträge, frei vom Korsett des Arbeitsrechts gesucht und gefunden haben - da sieht man doch: es kann klappen!
Dass es zu Bedingungen klappt, die den sonst so verteufelten Manchester-Kapitalismus fast noch rosig aussehen lassen - extrem untertarifliche Bezahlung, Prinzip des hire & fire, keine Möglichkeit den Lohn einzuklagen, keinerlei Arbeitsschutz usw. - weiß auch Herr Hartz. Dieser unkonventionelle Denker nimmt eben genau dies als Chance!
Und wie soll die Schwarzarbeit legalisiert werden? Natürlich nicht, indem man diese Beschäftigungsverhältnisse in die bisherigen legalen überführt; das würde die Lohnkosten so hochschrauben, dass die Arbeit nicht mehr stattfände. Die schwarze Arbeit findet eben nur statt, weil mit dem Umgehen aller Bestimmungen sensationell günstig ausgebeutet werden kann.
Nein, man muss die Bedingungen und das Niveau dieses Beschäftigungsverhältnisses selbst legalisieren. Mit der Legalisierung von Schwarzarbeit wird von Staats wegen der moderne Tagelöhner geschaffen; Menschen, die sich selbst besitzen: "Ich-AG" und sich selbst mal hierhin, mal dorthin ausleihen. Einen kleinen Preis hat die Sache: 10 %, die die künftigen legalen Schwarzarbeiter von ihrem eh schon lächerlich geringen Lohn abgeben dürfen; dafür erhalten sie tatsächlich das Recht, Lohn einklagen zu können.
Versucht man an dieser Stelle, ein - sicher vorläufiges - Fazit zu ziehen, so könnte folgende These stehen:
Karl Marx wurde durch Herrn Peter Hartz vollständig rehabilitiert.
Das, was Marx vor nun mehr als hundert Jahren bereits prognostizierte ist heute durch Herrn Hartz praktizierte Tatsache. Das ist angesichts der Verteufelung all dessen, was von Kommunisten kommt schon bemerkenswert.
Eine Lösung des Problems der zunehmenden Arbeitslosigkeit ist demnach innerhalb des Systems der Marktwirtschaft nicht möglich. Die Forderung, die Hartz-Gesetze auszusetzen, führt genauso zum Kollaps dieses Systems, wie die konsequente Umsetzung der Hartz-Gesetze durch die Regierung. Der Kollaps sieht lediglich etwas anders aus und hat vielleicht einen anderen Verlauf. Letztlich ist es aber egal ob man durch einen Herzinfarkt, durch Altersschwäche oder durch eine andere Krankheit stirbt. Man stirbt.
Die Frage wäre aber zu stellen, ob man nicht von der Regierung Rahmenbedingungen fordert, die die Herausbildung eines Systems von lokalen, regional vernetzten Lebens- und Handlungsbeziehungen fördern, im Rahmen derer alle diejenigen eine menschenwürdige Existenz finden, deren Arbeit in der Marktwirtschaft nicht gebraucht wird. Wie solche Systeme und die dafür wünschenswerten Rahmenbedingungen konkret aussehen, darüber könnte man sich auch am Rande der Demonstrationen verständigen...
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