Wie verlief eigentlich die bisherige wirtschaftliche Entwicklung - gleichförmig oder doch eher mit Höhen und Tiefen? Und lässt sich aus der bisherigen Entwicklung etwas über mögliche zukünftige Entwicklungen ableiten? Um diese Fragen geht es in einem Beitrag von Katja, den sie als Geografie-Studentin 2003 ausgearbeitet hat.
Inhaltsverzeichnis
3 Entwicklung einer Theorie der langen Wellen
4 Der Zyklus einer langen Welle nach Schumpeter
5 Der Zyklus einer Langen Welle nach Menschikow
5.1 Der Aufschwung
5.2 Der obere Wendepunkt
5.3 Der Abschwung
5.4 Der untere Wendepunkt
6 Räumliche Aspekte langer Wellen
7 Wie verläuft eine lange Welle in „Entwicklungsländern“?
8 Wie sieht die nächste lange Welle aus?
10 Ausblick
1 Einleitung
Wirtschaftliche Entwicklung verläuft in zyklischen Wellenbewegungen mit einem Auf- und Abschwung. Die so genannten „langen Wellen“ bilden dabei den längsten heute bekannten Zyklus (BATHELT & GLÜCKLER 2002:247).
Unter Punkt zwei werden die langen Wellen im Allgemeinen kurz vorgestellt und anschließend unter Punkt drei die Entwicklung einer Theorie der langen Wellen beschrieben und analysiert, ob es eine solche Theorie gibt.
Punkt vier und fünf stellen das Modell SCHUMPETERS und die Theorie MENSCHIKOWS bezüglich der langen Wellen vor. Anschließend wird auf die räumlichen Aspekte während der Entwicklung langer Wellen eingegangen (Punkt sechs) und unter Punkt sieben versucht die Problematik der langen Wellen in Entwicklungsländern aufzugreifen.
Schließlich soll unter Punkt acht geklärt werden ob es in der Zukunft wieder eine lange Welle geben kann, bevor sich Zusammenfassung (Punkt neun) sowie Ausblick (Punkt zehn), anschließen.
2 Die Idee der langen Wellen
Neben den kurz- und mittelfristigen Konjunkturzyklen von etwa drei und zehn Jahren, wurden Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals längerfristige Zyklen von 40-60 Jahren Dauer festgestellt (BATHELT &GLÜCKLER 2002:247, KÜHNE 1991:27; MENSCHIKOW 1989:13). Ganz Allgemein besteht eine lange Welle aus einer Basisinnovation, die eingeführt wird, und damit einen Aufschwung auslöst, und einen Abschwung, welcher sich nach Erschöpfung der Innovationskraft der neuen Technologie anschließt (SCHÄTZL 2001:218).
Aus dem statistischen Material lassen sich bis heute vier (beziehungsweise fünf) Zyklen langer Wellen feststellen: 1.) 1790-1840, getragen durch Dampfkraft, Textilindustrie, sowie Eisenindustrie; 2.) 1840-1890, durch Eisenbahn, Dampfschiffe und Eisen- bzw. Stahlindustrie. 3.) 1890-1940 mit den Basisinnovationen Elektrizität, Chemische und Automobilindustrie. Die vierte lange Welle mit Elektronik und Petrochemie schließlich begann 1940 (BATHELT & GLÜCKLER 2002:248f).
Das Ende des vierten Zyklus wird kontrovers diskutiert, denn einige Wissenschaftler gehen von einer kurzen fünften langen Welle aus (Beginn 1970/80), wogegen andere das Ende der vierten Welle erst etwa 1990 bis heute erkannt haben (BATHELT & GLÜCKLER 2002:249; FUCHS 2002:290f; MAIER & BECK 2000:91).
Diese Eckdaten und Sachverhalte sind in Abbildung 1 als Modell dargestellt.
Abbildung 1 - Modell der wirtschaftlichen Entwicklung in "langen Wellen" nach einem Entwurf von P. DICKEN, 1998 (SCHÄTZL 2001:219).
Die Abbildung (1) zeigt auf eine Zeitskala bezogen, die Entwicklung der wirtschaftlichen Aktivität. Das Niveau wirtschaftlicher Aktivität ist hierbei eine qualitative Skala und hat keine numerische Achseneinteilung, da die wirtschaftliche Aktivität mit sehr unterschiedlichen Parametern und Skalen gemessen werden kann.
Wie aus der Abbildung (1) hervorgeht, steigt das Niveau wirtschaftlicher Aktivität ständig. Diese Entwicklung verläuft jedoch in Wellen. Den einzelnen Wellen werden in zwei Ebenen, unterhalb der Darstellung des Verlaufs der langen Wellen, die räumlichen Zentren in Deutschland und international zugeordnet.
Oberhalb der Darstellung des Verlaufs der langen Wellen, sind die Basisinnovationen der jeweiligen langen Welle aufgezählt und zugeordnet (SCHÄTZL 2001:219).
3 Entwicklung einer Theorie der langen Wellen
Erstmals statistisch nachgewiesen wurden die langen Wellen Anfang des 20. Jahrhunderts von S. DE WOLFF und J. VAN GELDERN. Sie machten die Zykluslänge von der Abschreibungsfrist dauerhafter Kapitalgüter abhängig. 1911 veröffentlichte N. D. KONDRATIEFF einen Aufsatz, der weltweites Aufsehen erregte (es wird deshalb auch von KONDRATIEFF-Zyklen gesprochen). Auch er wies die Zyklen statistisch nach, führte die Ursache der langen Wellen aber auf die Kredit- und Zinsentwicklung zurück. Kondratieff versteht den Zyklus als endogen verursacht, wonach die soziale und politische Entwicklung von der ökonomischen Entwicklung abhängt (SCHÄTZL 2001:217; KÜHNE 1991:22ff).
Anschließend griff J. A. SCHUMPETER die Idee KONDRATIEFFS auf und entwickelte sie zu einem Modell weiter (1911, 1961), welches heute allgemein als Theorie der langen Wellen gilt (BATHELT &GLÜCKLER 2002:247).
Danach weiterentwickelte neuere Ansätze für eine Theorie der langen Wellen sind im Wesentlichen Modifizierungen der Theorie SCHUMPETERS (BATHELT & GLÜCKLER 2002:251) und beziehen meist die Wirtschaftspolitik mit ein. Mit Hilfe der Wirtschaftspolitik sollte es danach möglich sein, den Zyklus zu beeinflussen (KÜHNE 1991:30/38f).
1975 charakterisiert G. MENSCH alte Produktionsstrukturen, deren Entwicklungsmöglichkeiten erschöpft sind, als Ursache lang anhaltender Wirtschaftskrisen und gleichzeitig Auslöser eines Innovationsschubs (KÜHNE 1991:31).
Nach MENSCHIKOW (1989:43-60) lässt sich der Zyklus aus rein ökonomischen Mechanismen und dem Verlauf bzw. der Veränderung der Profitrate erklären. Ausgangspunkt eines Zyklus ist eine strukturelle Krise, durch unprofitable Produktionsbedingungen und Überakkumulation von Geldkapital und Überproduktion ausgelöst, die nur durch Kapitalentwertung und die Einführung von technologischen Innovationen, und damit verbundenen Investitionen, überwunden wird. Abschließend bleibt festzustellen, dass es die eine Theorie der „langen Wellen“ nicht gibt. SCHUMPETER ist der bekannteste Vertreter mit einem Modell der langen Wellen, aber es gibt viele Erklärungsansätze und Aspekte. Die schlüssigste Argumentation, nach bisher studierter Literatur, ist der Ansatz von MENSCHIKOW.
4 Der Zyklus einer langen Welle nach SCHUMPETER
Nach SCHUMPETER werden Innovationen durch „dynamische Unternehmer“ eingeführt. Diese Unternehmer handeln aus privaten Beweggründen, nicht vorrangig mit dem Ziel Profit zu machen (FUCHS 2002:286f).
SCHUMPETER definierte Innovationen als Kombinationen, welche entweder aus Innovationen oder aus neuen und alten wirtschaftlichen Komponenten entstehen. Dabei werden Prozessinnovationen und Produktinnovationen unterschieden (KÜHNE 1991:27; FUCHS 2002:287).
Hat ein Unternehmer eine neue Kombination entwickelt, wendet er sich an eine Bank. Ist die Bank bereit zu Investieren wird die neue Kombination am Markt eingeführt. Die neue Kombination verdrängt die alte Kombination. Diese Entwicklung führt zu Konflikten, einer ökonomischen Krise, die so lange anhält, bis sich die neue Kombination durchgesetzt hat. Demnach wird ein Abschwung also durch den Konflikt alter und neuer Kombinationen ausgelöst (BATHELT & GLÜCKLER 2002:247f; FUCHS 2002:287).
Einzelne, risikobereite „dynamische“ Unternehmer setzen am Tiefpunkt der Krise neue Kombinationen durch, die zu einem Aufschwung führen. Durch Nachahmung greifen dann viele, dass heißt „scharenweise auftretende“ Unternehmer die neuen Kombinationen auf, bis diese sich erschöpft haben, zu alten Kombinationen werden und wiederum mit neueren Kombinationen in Konflikt geraten. Diesen Kreislauf nennt SCHUMPETER „permanente schöpferische Zerstörung“, da immer wieder alte Kombinationen verdrängt und zerstört werden, aber dafür neue Kombinationen geschaffen werden. (BATHELT & GLÜCKLER 2002:247f; KÜHNE 1991:27ff; MAIER & BECK 2000:90).
Die Existenz langer Wellen kann allgemein in Frage gestellt werden, da diese nur mit bestimmten statistischen Verfahren und Parametern nachgewiesen werden können (BATHELT & GLÜCKLER 2002:250). Mittlerweile, mit neuen statistischen Verfahren nachgewiesen, ist es sehr wahrscheinlich, von einer Existenz langer Wellen in der wirtschaftlichen Entwicklung auszugehen (GERSTER 1988:83).
SCHUMPETER geht von einem dynamischen Unternehmer aus, der die Innovation entwickelt. Meist sind an einer solchen Entwicklung jedoch mehrere Personen beteiligt und beispielsweise Wissenschaftler notwendig. Der Kontext und Handlungsspielraum des Unternehmers wird ebenfalls nicht beachtet (FUCHS 2002:287; BATHELT &GLÜCKLER 2002:248).
Die Einführung einer Innovation wird nur von der Investitionsentscheidung einer Bank abhängig gemacht. Dies trifft wahrscheinlich in den meisten Fällen der Realität auch zu, aber nicht immer ist nur das Geld einer Bank entscheidend für den Erfolg einer Innovation (FUCHS 2002:287).
Gesellschaftliche Entwicklungen werden nicht mit in die Erklärung einbezogen. Das monokausale Modell bezieht sich nur auf technische Entwicklungen. Der Rahmen, in dem diese Entwicklungen stattfinden wird ausgeblendet beziehungsweise vernachlässigt. Auch die Wendepunkte können nicht schlüssig erklärt werden (KÜHNE 1991:29; BATHELT & GLÜCKLER 2002:250).
5 Der Zyklus einer Langen Welle nach MENSCHIKOW
Der Zyklus ist endogen bedingt, ist also in Wesen und Struktur des Kapitalismus verankert und wird also auch durch diesen ausgelöst und kann deshalb nicht verhindert werden. Teilweise ist es jedoch möglich bestimmte Parameter, wie die Zykluslänge, zu modifizieren (MENSCHIKOW 1989:44f/88ff).
Die endogene Sichtweise bedingt ebenfalls, dass soziale und politische Entwicklungen an die ökonomische Entwicklung gekoppelt sind und wechselwirken, deshalb ist die Krise zwischen zwei langen Wellen auch eine Strukturkrise, während dieser sich die Struktur ändert um die Krise zu überwinden So verändert sich mit der Einführung neuer Technik und Organisationsformen auch das menschliche Zusammenleben (MENSCHIKOW 1989:43f).
5.1 Der Aufschwung
Der Aufschwung beginnt mit der Einführung technologischer (Basis-) Innovationen, die eine Erneuerung der gesamten Produktionsanlagen und organisatorischer Strukturen nach sich zieht. Es findet eine qualitative Änderung statt. Sprunghaft ansteigende Investitionen führen zu hohen Profiten, und lassen die Profitrate ansteigen. Durch den radikalen Charakter dieser Entwicklung der Profitrate, also am Anfang ein sehr starkes Wachstum, das sich später abflacht, können sehr große „Zusatz“-Profite realisiert werden, die über dem allgemeinen Durchschnitt liegen. Gleichzeitig steigt die organische Zusammensetzung des Kapitals (MENSCHIKOW 1989: 21ff/43ff).
Die organische Zusammensetzung des Kapitals kann wertmäßig und stoffmäßig verstanden werden. In der wertmäßigen Betrachtung wird das Verhältnis von Konstantem/fixem Kapital (c), also beispielsweise Industrieanlagen sowie Produkte, und variablem Kapital (v), was ausschließlich Arbeitskräfte sind, betrachtet. In der stoffmäßigen Betrachtung wird das Verhältnis von Produktionsmitteln, die sich aus Arbeitsgegenstand und Arbeitsmitteln ergeben, und dem Lohn der Arbeitskräfte betrachtet (MARX 1962: 214-223/657ff).
Die Profitrate (p’) ist das Verhältnis von Mehrwert (MW, Zähler des Bruchs) zu c plus v (Nenner). Grundsätzlich produzieren nur Menschen, also in diesem Fall die Arbeiter Mehrwert. Im Aufschwung werden Arbeiter benötigt, was den Mehrwert wachsen lässt. (MARX 1962: 546f). Während des Aufschwungs nehmen also sowohl das konstante Kapital (Produktionsanlagen) als auch das variable Kapital (Anzahl der Arbeitskräfte) zu, wobei das konstante Kapital, also die Produktionsmittel, stärker wachsen als das variable Kapital und damit der Lohn (MENSCHIKOW 1989: 21ff/43ff).
5.2 Der obere Wendepunkt
Ist die neue ökonomische Struktur geschaffen, wird weniger investiert, und es kommt zu einer Überakkumulation von Geldkapital, das nicht „arbeitet“, sich also nicht vermehrt. Die großen Zusatz-Profite fallen weg und die Profitrate beginnt zu sinken (MENSCHIKOW 1989:47ff). Die neue Technologie wurde verbreitet und eingeführt, die Gesamtnachfrage beginnt also zu sinken. Das ungleichmäßige Wachstum der organischen Zusammensetzung des Kapitals führt dazu, dass der Lohn relativ zu den Produktionsmitteln gesehen sinkt (der Lohn wächst langsamer als die Produktionsmittel) und damit ebenfalls Konsum und Nachfrage, relativ gesehen, sinken (MENSCHIKOW 1989:47ff).
Die sinkende Nachfrage und die steigende Konkurrenz (durch die Verbreitung der Technik) führen nicht nur zu sinkenden Preisen, sondern auch zu einer Überproduktion (MENSCHIKOW 1989:47ff).
Der Eigentliche Kapitalkreislauf: Kapital-Ware-Kapital’ ist gestört. Normalerweise wird das Kapital in Ware umgewandelt, um anschließend durch den Verkauf wieder in Kapital – und zwar mehr Kapital, nämlich Kapital’, umgewandelt zu werden (MARX 1962:161ff). Nun ist einmal zu viel Kapital in Form von Ware vorhanden, die nicht verkauft wird und zum Anderen laufen die Produktionsanlagen nicht voll ausgelastet, da die Nachfrage sinkt. Die Folge ist Überproduktion (MENSCHIKOW 1989:47ff).
Das löst den oberen Wendepunkt der Welle aus und führt zum Abschwung (MENSCHIKOW 1989: 47ff).
5.3 Der Abschwung
Während des Abschwungs sinkt die Profitrate relativ zum Aufschwung weiter, obwohl die Unternehmen immer noch Profit machen. Das Profitwachstum ist aber jetzt ein stetig flach ansteigendes. Die Ökonomische Struktur wird immer unprofitabler, es kommt zu einer Strukturkrise (MENSCHIKOW 1989: 47ff/90).
Die Rentabilität der vorhandenen Produktionsmittel sinkt, denn der Aufwand übersteigt das Ergebnis, den Profit. Daher wird mit verschiedenen Methoden versucht den Aufwand zu senken, beziehungsweise konstantes Kapital, also Produkte und Produktionsanlagen, zu entwerten. Es werden also Produkte verbilligt, Produktionsanlagen stillgelegt, moderne Anlagen (die effektiver arbeiten) installiert oder auch Arbeiter entlassen. Dadurch wird die Produktion verbilligt. Die Löhne und damit die Nachfrage sinken weiterhin (MENSCHIKOW 1989: 47ff/90).
Der Wettbewerb verschärft sich weiter und Absatzbedingungen verschlechtern sich. Das Risiko teurer Innovationen wird hinausgezögert, solange die marginalen Profite ausreichen beziehungsweise die Produktion verbilligt werden kann (MENSCHIKOW 1989: 47ff/90).
In der Phase des Abschwungs ist das Risiko für Katastrophen, wie beispielsweise von Kriegen, erhöht. Mit der Technologie kommt die gesamte Struktur, also auch politische und soziale Organisationsformen in die Krise. Denn das gesellschaftliche Leben ist an den ökonomischen Kreislauf gekoppelt. Deshalb geraten nicht nur wirtschaftliche Strukturen in die Krise, sondern auch politische Strukturen und das Sozialwesen (MENSCHIKOW 1989:76f).
Kriege sind vor diesem Hintergrund nicht nur Ausdruck des Versuchs gesellschaftliche Krisen zu überwinden, sondern entwerten auch massiv Kapital. Aufrüstung und Expansion sollen der sinkenden Profitrate entgegenwirken und soziale Spannungen lösen (MENSCHIKOW 1989:88f).
5.4 Der untere Wendepunkt
Erst wenn die laufenden Geschäfte so unprofitabel geworden sind, dass Unternehmen langfristig Konkurs anmelden müssen, wird das Risiko teure Innovationen einzuführen zu einer Alternative, einem letzten Versuch. Die Kapitalentwertung während des Abschwungs (beispielsweise von alten Produktionsanlagen) ist also eine Vorraussetzung für einen neuen Aufschwung. Zu diesem Zeitpunkt genügen auch wenige Innovationen, von denen einige aufgegriffen werden und als neue Technik und Organisationsform einen Aufschwung auslösen, womit der untere Wendepunkt erreicht ist (MENSCHIKOW 1989:24/47-50).
In die neue Technik kann von Banken und Unternehmen wieder investiert werden. (Nicht „die kleinen Leute“ haben auf einmal mehr Geld um zu kaufen und damit die Innovation zu etablieren). Das Kapital ist ja in Form von Geld vorhanden, dass nach dem Aufschwung von Banken und Unternehmen nicht mehr (gewinnbringend) investiert werden konnte, da nichts mehr neu gebaut und produziert wurde. Die Innovation wird also etabliert, da Unternehmen und Banken in diese investieren. Die Nachfrage ist zu diesem Zeitpunkt zweitrangig. Die Profitrate beginnt darauf hin wieder zu steigen, und der Zyklus beginnt wieder mit einem Aufschwung (MENSCHIKOW 1989:24/47-50).
Kritisch anzumerken ist, dass die Erkenntnisse und Aussagen allein auf dem statistischen Datenmaterial der USA beruhen. Leider wird MENSCHIKOW in der wissenschaftlichen Diskussion weder erwähnt noch diskutiert.
6 Räumliche Aspekte langer Wellen
In den eigentlichen Theorien und Modellen wird der räumliche Aspekt vernachlässigt und nicht beachtet. Aus der empirischen und historischen Analyse ergibt sich jedoch, dass sich die Zentren regional und global von Welle zu Welle verlagern. Dies könnte zum Beispiel auf unterschiedliche Standorterfordernisse der jeweiligen Basisinnovationen zurückzuführen sein. Meist sind diese Zentren durch Industrieballungen gekennzeichnet. Mit einer neuen Welle entstehen auch immer neue Strukturen und Verbindungen im Raum (BATHELT & GLÜCKLER 2002:249f; SCHÄTZL 2001:220).
Im internationalen Rahmen haben sich die Zentren, wie aus Abbildung 1 hervorgeht, in verschiedener Gewichtung auf England, Deutschland, die USA und Japan konzentriert. In Deutschland waren Ruhrgebiet (und Saarland), Baden-Württemberg und Südbayern Konzentrationspunkte wesentlicher Innovationen (SCHÄTZL 2001:219/220f).
Diese Zentren, beziehungsweise Ausgangspunkte einer langen Welle, verändern sich auch im Verlauf eines Zyklus. Am Anfang wird das Zentrum Wachsen und gegen Ende stillgelegt werden oder zurückgebaut. Mit dem Zentrum ändert sich natürlich auch die Peripherie. Am Anfang wird sie von dem wachsenden Zentrum profitieren und gegen Ende ebenso einen Bedeutungsverlust erfahren (BATHELT & GLÜCKLER 2002:249f; SCHÄTZL 2001:220f).
7 Wie verläuft eine lange Welle in „Entwicklungsländern“?
Die so genannten Entwicklungsländer sind im Zusammenhang mit den langen Wellen kaum in der Diskussion. Aber die von den Industrieländern sehr unterschiedliche Wirtschaftslage lässt vermuten, dass die Zyklen dort modifiziert sind. Da die Entwicklungsländer mit den Industrieländern wirtschaftlich verflochten sind, sind lange Wellen in den Entwicklungsländern wahrscheinlich veränderte Widerspiegelungen der langen Wellen von Industrieländern (MENSCHIKOW 1989:93).
Eine veraltete Technologie einer Basisinnovation der Industrieländer, wie beispielsweise die Eisenindustrie, kann in den Entwicklungsländern noch zur Basisinnovation einer langen Welle werden. Die Industrie in den Entwicklungsländern ist auf einem im Vergleich zu den Industrieländern relativ niedrigerem Niveau, weshalb auch die lange Welle auf einem technologisch niedrigerem Niveau stattfindet (MENSCHIKOW 1989:93).
Aber auch in den Entwicklungsländern gibt es eine aktuelle Strukturkrise, die sich jedoch durch die Verschuldungsproblematik völlig anders darstellt als in den Industrieländern (MENSCHIKOW 1989:93).
8 Wie sieht die nächste lange Welle aus?
Die These von einer fünften langen Welle, die schon 1970/80 begann und etwa 2000 endete wird stark diskutiert (FUCHS 2002:290f).
Neue Untersuchungsmethoden haben ergeben, dass die langen Wellen tendenziell immer kürzer werden, also beispielsweise auch nur noch 20 Jahre einen Zyklus ergeben (GERSTER 1988:83). Das würde die These einer schon erfolgten fünften langen Welle bestätigen. Auch die Mikroelektronik mit der Computertechnologie als Basisinnovation zu betrachten, erscheint, angesichts der weit reichenden Folgen, vertretbar (FUCHS 2002:290f).
Ob nun erst die vierte oder schon die fünfte lange Welle zu Ende ist, wie kann eine neue Welle aussehen, was kann zu einer Basisinnovation werden? Die aktuelle Lage deutet darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung seit den 1970/80ern in einer Dauerkrise befindet (UNGER 2003:10).
Neue Möglichkeiten für eine Basisinnovation könnten Gentechnik und Bio-Patente bieten (NOVY et al. 1999:20).
Unterschiedliche Wissenschaftler gehen von einem baldigen Aufschwung aus (BATHELT & GLÜCKLER 2002:251).
MENSCHIKOW (1989:94f) vertritt die These, dass ein genereller Aufschwung durch die neuen Strategien der weltweit agierenden Konzerne hinausgezögert wird. Innerhalb eines solchen Konzerns wird die Gesamtprofitrate immer auf einem bestimmten Niveau gehalten, in dem neue Technik eingekauft wird, oder ständig Innovationen entwickelt werden. Dazu kommt, dass die Konsumartikel permanent leicht modifiziert zum gleichen Preis verkauft werden. Das hat zur Folge, dass die Kapitalentwertung nicht stark genug ist oder hinausgezögert wird, was auch den unteren Wendepunkt hinauszögert. Neue Technik kann außerdem, wenn sie nur in einem Unternehmen zur Anwendung kommt, nicht weltweit zum Träger einer langen Welle werden. Dadurch sind weltweit wirksame Innovationen schwerer zu realisieren.
Es gibt aber auch noch die Möglichkeit, dass sich überhaupt keinen neue lange Welle an die aktuelle Krise anschließt, sondern diese Dauerkrise vielmehr das Ende der Epoche des Kapitalismus ankündigt (KURZ: 2002:1).
Die Profitrate setzt sich aus dem Verhältnis von Mehrwert und konstantem (c) plus variablem (v) Kapital zusammen.
Bisher war es so, dass der tendenzielle Fall der Profitrate durch das senken des variablen Kapitals, also der Arbeitskräfte, ausgelöst wurde. Dem konnte entgegengewirkt werden, indem c und v gemeinsam erhöht wurden, beispielsweise durch das Bauen einer neuen Fabrik, also durch Wachstum. Dadurch wurde die Produktion so stark erweitert, dass absolut mehr Arbeitskräfte benötigt wurden, wodurch der Mehrwert stieg. Im gleichen Maße, wie die Produktion mussten sich auch die Absatzmärkte vergrößern, damit der Profit realisiert werden konnte (KURZ: 2002:1).
Seit den 1970/80ern, können jedoch Produktion und Märkt nicht mehr in dem Rahmen mitwachsen, wie Arbeitskräfte überflüssig werden. Dadurch fällt die Profitmasse absolut. Und dieser Aspekt bedeutet eine neue Qualität der aktuell anhaltenden Dauerkrise, anders als bei bisherigen Strukturkrisen zwischen langen Wellen (KURZ: 2002:1).
Durch die Massenarbeitslosigkeit sind auch immer mehr Personen zahlungsunfähig und damit konsumunfähig, weshalb Unternehmen ihre überproportionale Produktion überhaupt nicht mehr verkaufen können (KURZ: 2002:1; UNGER 2003:10f).
Basisinnovationen gibt es genug. Für deren Umsetzung, deren Strukturaufbau, werden jedoch kaum noch Arbeitskräfte benötigt, beziehungsweise sind es relativ gesehen zu bisher realisierten Basisinnovationen sehr viel weniger (KURZ 2002:1).
Aber Mehrwert kann nur aus Arbeit von Menschen und im gesellschaftlichen Verhältnis zwischen Menschen entstehen. Deshalb erzeugen die jetzigen Basisinnovationen, wie die Computertechnologie, nicht annähernd soviel Profit wie für den Aufschwung einer langen Welle nötig ist, und bei bisherigen langen Wellen realisiert wurde. Elektronische Technik und Strukturen schaffen keinen Mehrwert, konsumieren nicht. Deshalb bietet auch die Einführung dieser Technik im Alltagsleben keine neuen Akkumulationsräume (KURZ: 2002:1).
Um aus den quantitativ weniger werdenden Arbeitskräften trotzdem noch Mehrwert zu bekommen, müssen diese wenigen Arbeitskräfte sich qualitativ steigern. Dies wird seit den 1980er Jahren durch die Einführung des Selbstorganisationsmanagements gefördert. Der Arbeitnehmer muss selbstständig, selbstverantwortlich, kreativ arbeiten und dabei teamfähig, mobil und flexibel sein. Er muss sich selbst entfalten, eine selbstbewusste Persönlichkeit ausbilden. Die Selbstentfaltung, die an dieser Stelle gefördert werden muss, um noch Profit zu erzielen, steht aber im Widerspruch zum ökonomischen Abhängigkeitsverhältnis und Zwang des Kapitalismus (KURZ: 2002:1; SCHLEMM 1999a:1; SCHLEMM 1999b:1).
Dies wird mittlerweile im Alltagsleben deutlich und für viele persönlich erlebbar und führt langfristig zu Unzufriedenheit und sozialen Katastrophen (KURZ: 2002:1).
So kann es nach KURZ (2002:1) also keine neue Welle geben, da der Kapitalismus sich in einer unlösbaren Krise befindet. Diese Annahme widerspricht nicht MENSCHIKOWS Analysen, denn er erkennt die langen Welle als Teil des Wesens des Kapitalismus und als eine an den Kapitalismus gebundene wirtschaftliche Entwicklungsform (MENSCHIKOW 1989:44f/88ff).
9 Zusammenfassung
Es gibt lange Wellen in der wirtschaftlichen Entwicklung, deren Zyklen aus Auf- und Abschwung, sowie einem oberen und untern Wendepunkt bestehen. Ein Aufschwung wird durch die Einführung einer Basisinnovation ausgelöst. Sobald sich die Innovationskraft erschöpft hat, beginnt der Abschwung einer langen Welle (SCHÄTZL 2001:218; GERSTER 1988:83).
SCHUMPETER entwickelte in den 1960ern ein Modell in dem dynamische Unternehmer mit Hilfe von Banken technische Innovationen einführen und verbreiten, was eine ökonomische Krise auslöst, bis sich die neue Technik durchgesetzt hat. Dieser technikdeterminierte Ansatz von SCHUMPETER wird bis heute stark kritisiert.
Nach MENSCHIKOW (1989:43-60) lässt sich der Zyklus aus rein ökonomischen Mechanismen des Kapitalismus und an Hand der Veränderung der Profitrate erklären. Die ökonomische Entwicklung ist mit allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens eng verflochten, so dass politische und soziale Belange sich im Verlauf einer langen Welle und mit den Wellen im Allgemeinen verändern.
Das räumliche Zentrum und die Organisationsstrukturen verändern sich von Welle zu Welle und im Verlauf einer langen Welle (SCHÄTZL 2001:220f).
10 Ausblick
Ob sich demnächst der Aufschwung zu einer langen Welle entwickeln wird ist umstritten, aber bezüglich der Dauerkrise und den vorgestellten Erkenntnissen von R. KURZ unwahrscheinlich (BATHELT & GLÜCKLER 2002:251; KURZ 2002:1). Die Dauer einer langen Welle scheint sich tendenziell zu verkürzen (GERSTER 1988:83). Wie lange Wellen in den Entwicklungsländern verlaufen ist unklar (MENSCHIKOW 1989:93).
Die Theorie der langen Wellen nach SCHUMPETER und neoschumpeterianische Ansätze werden, teilweise in Bezug auf Krisentheorien und die Dauerkrise seit den 1970ern, aktuell diskutiert (BATHELT & GLÜCKLER 2002:251; FUCHS 2002:286-301; KURZ 2002:1; UNGER 2003:10f).
Literatur
- BATHELT, H. & J. GLÜCKLER (2002): Wirtschaftsgeographie. Ökonomische Beziehungen in räumlicher Perspektive. Stuttgart.
- FUCHS, C. (2002): Krise und Kritik in der Informationsgesellschaft. Wien/Norderstedt.
- GERSTER, H. J. (1988): Lange Wellen wirtschaftlicher Entwicklung. Empirische Analyse langfristiger Zyklen für die USA, Großbritannien und 14 weitere Industrieländer von 1800-1980. Europäische Hochschulschriften 5, Frankfurt am Main.
- KÜHNE, G. (1991): Lange Wellen der wirtschaftlichen Entwicklung. Theoretische Erklärungsansätze und Verbindungslinien zur Geschichte der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik. Göttingen.
- MAIER, J. & R. BECK (2000): Allgemeine Industriegeographie. Gotha, Stuttgart.
- MARX, K. (1962): Das Kapital. Erster Band. Marx Engels Werke 23, Berlin.
- MENSCHIKOW, S. (1989): Lange Wellen in der Wirtschaft. Theorie und aktuelle Kontroversen. Frankfurt am Main.
- NOVY, A., C. PARNREITER & K. FISCHER (1999): Globalisierung und Peripherie. In: NOVY A., C. PARNREITER & K. FISCHER (Hrsg.): Globalisierung und Peripherie – Umstrukturierung in Lateinamerika, Afrika und Asien. Historische Sozialkunde 14, Frankfurt/Main, 9-33.
- SCHÄTZL, L. (Hrsg.) (20018): Wirtschaftsgeographie 1. Theorie. Paderborn.
- SCHLEMM, A. (1999a): Selbstorganisationsmanagement. Wissensmanagement. https://www.thur.de/philo/som/som1.htm. Zugriff am 05.03.2003.
- SCHLEMM, A. (1999b): Selbstverwertung-Selbstentfaltung.
- https://www.thur.de/philo/som/somensch.htm. Zugriff am 05.03.2003.
- UNGER, K. (2003): Sinnloses Gepfusche. In: Junge Welt 03, 37, 10-11.
Weiterführende Links zum Thema Arbeit in Annettes Philosophenstübchen