Eine andere Welt und ein „gutes Leben“ sind möglich!

Vor wenigen Stunden fand in Jena eine Veranstaltung mit Silke Helfrich statt, bei der sie von ihren Erlebnissen beim Weltsozialforum 2009 in Belém (Brasilien) berichtete. 135 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer berieten sich in über 2000 Veranstaltungen über ihre Positionen und Vorhaben. Nur die wenigsten TeilnehmerInnen waren aus Europa, Afrika oder auch Lateinamerika, die meisten kamen direkt aus der Region, durch die die Schlachten der Globalisierung unmittelbar hindurch gehen.

Gerade in Brasilien brodeln Konfllikte zwischen den sozialen und ökologischen Forderungen der sozialen Bewegungen (wie der Landlosen in Brasilien) und der zerstörerischen Großprojekt-Industrie-Wachstumspolitik der Lula-Regierung und der Gewerkschaften. Die Kosten für diese Wachstumspolitik sind nicht mehr tragbar; nicht nur die Folgen des dadurch verursachten Klimawandels machen den vorwiegend von Indigenen bewohnten Regionen zu schaffen, sondern auch einschneidende großindustrielle Infrastrukturen und die Orientierung auf eine monokulturell-exportorientierte Landwirtschaft schadet ihnen ganz unmittelbar. Deshalb wurde vor allem die Anwesenheit des brasilianischen Präsidenten Lula zu einem so großen Problem, dass die Landlosenbewegung sich nicht innerhalb des Weltsozialforums engagierte, sondern außerhalb.

Auch der ständige Widerstreit der Forderung nach Horizontalität bei gleichzeitig gewünschtem medialen Effekt, der meist nur über große Namen oder große offizielle Verlautbarungen erreicht werden kann, bleibt weiter akut. Wie Silke berichtete, bemüht man sich aber immer mehr um wirklich programmatische inhaltliche Arbeit, die vorwiegend in 27 thematischen Foren wie zum Klima oder zur Wassernutzung verwirklicht wurde. In diesen Foren wurden Konsenspapiere erarbeitet und bei der abschließenden „Versammlung der Versammlungen“ vorgetragen.


Eine wichtige Erfahrung war die aktive Beteiligung der indigenen Menschen, die ihren Gegenentwurf zur neoliberalen „Modernisierung“ unter der Bezeichnung „gutes Leben“ (portugiesisch: bem viver) vertraten. Damit ist vor allem gemeint, dass Menschen selbst entsprechend ihren regionalen Gegebenheiten bestimmen wollen, wie sie leben wollen. Dieses „gute Leben“ wird weder für alle Menschen auf der Erde einheitlich sein, noch wird es statisch ein für allemal gegeben sein. Es wird immer wieder von den Menschen selbst bestimmt, was für sie ein „gutes Leben“ ist. Gleichzeitig jedoch führt der Grundsatz der Diversität nicht zu einer Zersplitterung, sondern wird unter dem Stichwort „Konvergenz“ immer wieder zusammen geführt. Zentral waren bei allen Themen immer wieder Fragen des Eigentums, der sozialen Beziehungen und des Zugangs zu Ressourcen.

Wie Silke schon in ihrem Blog berichtete wurden die Gemeingüter bei diesem Sozialforum erstmals zu einem großen Thema und es wurde ein “Aufruf an alle Menschen zur Wiedergewinnung der Gemeingüter” gestartet.

Ein wichtiges Ergebnis des Weltsozialforums nannte Silke am Schluss ihres Berichts. Es gibt eine Zusammenstellung von „zentralen Elementen eines neuen politischen Paradigmas“ von José Correa Leite. Er nennt folgende Punkte:

  • Klimagerechtigkeit
  • Gutes Leben
  • Wiedergewinnung der Gemeingüter
  • Kollektive Rechte
  • plurinationale Staaten
  • De-Kolonialisierung.

Es ist schade, dass dieser Impuls einer weltweiten antikapitalistischen und durch konkrete Utopien getränkten Bewegung bei uns so gut wie gar nicht ankommt. Bei uns neigen sogar die Linken dazu, auf eine baldige Stabilisierung des kapitalistischen „business as usual“ zu hoffen. Viele Debatten versuchen immer wieder einen besseren Kapitalismus auszudenken, radikale Alternativen scheinen hinterm Horizont verschwunden… Ob eine „andere Welt möglich ist“, entscheidet sich aber nicht in unseren Elfenbeinturmdebatten, sondern in Belém und anderswo, wo wir nicht sind…

Noch nicht?

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