Gliederung dieser Seite
- Bindungsenergie zwischen Kernteilchen
- Die Kettenreaktion
- Die moderierte Kettenreaktion
- Technische Realisierung von Kernkraftwerken
- Kernkraftwerke in Deutschland
- Kernkraftwerke in Europa und weltweit
Bindungsenergie zwischen Kernteilchen
Betrachtet man einen Atomkern, so stellt sich die Frage, warum dieser nicht einfach zerfällt - schließlich sind ja viele elektrisch gleich geladene (positiv geladene) Protonen auf engstem Raum konzentriert, die sich eigentlich abstoßen müssten. Das tun sie natürlich auch, aber die Abstoßungskräfte werden von einer anderen, auf kurzen Entfernungen viel stärkeren, Kernbindungsenergie überlagert, die genau entgegengesetzt, nämlich anziehend wirkt und von den Neutronen im Kern vermittelt wird.
Diese Bindungsenergie wird nun etwas eigenartig definiert: Sie ist die Energie, die notwendig ist, um die Teilchen voneinander (unendlich weit) wegzubewegen, sie also "endgültig" zu trennen. In diesem Zustand definiert man die Bindungsenergie als 0; es existiert keine Bindung. Sie muss also aufgewendet werden zum Trennen bzw., sie ist frei geworden, als der Atomkern entstand (Potentialtopfmodell). Das bedeutet, dass die Bindungsenergie ein negativer Wert ist, was auch exakt den Messergebnissen entspricht. Der Einsteinschen Gleichung E=m*c² entsprechend hat ein Atomkern als Ganzes eine geringere Masse als die Summe der Massen seiner einzelnen Kernteilchen (Protonen und Neutronen). Diese Massedifferenz (auch als Massendefekt bezeichnet) entspricht der Bindungsenergie ΔW. Da es sich mit negativen Werten schlecht rechnet, wird in der Praxis üblicherweise die positive Größe - ΔW als Bindungsenergie angegeben. Und diese wiederum nicht als Absolutwert für jeden Atomkern, sondern als spezifische Bindungsenergie pro Nukleon.
Diese Bindungsenergie pro Kernteilchen in Abhängigkeit von der Kernladungszahl ist in der folgenden Abbildung dargestellt.
Interessanterweise hat diese spezifische Bindungsenergie ein Maximum, etwa bei der Massenzahl 60. Bei den schwersten Atomkernen, wie z. B. Uran, ist die Bindungsenergie je Nukleon deutlich kleiner als bei Atomkernen mit mittleren Massenzahlen. Bei der Spaltung eines Uranatomkerns in zwei Atomkerne mit mittlerer Massenzahl wird daher die Bindungsenergie insgesamt größer, was zur Folge hat, dass Energie nach außen abgegeben wird (Kernspaltung). Bei den leichten Atomkernen ist die Bindungsenergie der Atomkerne der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium deutlich geringer als die des Heliumkerns He-4. Die Verschmelzung von Deuterium und Tritium zu Helium ist daher ebenfalls mit einer Energiefreisetzung verbunden (Fusion).
Im Urankern sind die Nukleonen mit einer mittleren Energie von etwa 7,6 MeV pro Nukleon gebunden. In den Spaltproduktkernen beträgt die mittlere Bindungsenergie je Nukleon etwa 8,5 MeV. Diese Differenz in der Bindungsenergie von 0,9 MeV je Nukleon wird bei der Kernspaltung freigesetzt. Da der Urankern 235 Nukleonen besitzt, wird pro Spaltung ein Energiebetrag von rund 210 MeV frei. Er setzt sich aus folgenden Teilbeträgen zusammen:
- kinetische Energie der Spaltprodukte 175 MeV,
- kinetische Energie der Spaltneutronen 5 MeV,
- Energie der unmittelbar bei der Spaltung auftretenden Gamma-Strahlung 7 MeV,
- Energie der Beta- und Gamma-Strahlung beim Zerfall der radioaktiven Spaltprodukte 13 MeV,
- Energie der Neutrinos 10 MeV.
Von den 210 MeV freiwerdender Energie können in einem Kernreaktor etwa 190 MeV (rund 90%) genutzt werden. So ist die Energie der Neutrinos faktisch gar nicht nutzbar, da diese fast keine Wechselwirkung mit Materie zeigen. Ein weiterer Teil der Energie wird erst später durch den radioaktiven Zerfall der Spaltprodukte freigesetzt.
Die nutzbare Energie fällt letztlich in Form von Wärme an. Bei der Umwandlung in Elektroenergie in einem Kernkraftwerk beträgt der Wirkungsgrad etwa 0,34 - also ca. ein Drittel. Schätzt man nun ab, wieviel Uran-235 nötig wäre, um den Elektroenergiebedarf einer europäischen Großstadt mit 1,5 Mio Einwohnern zu decken, so kommt man auf einen Wert von 1,39 t U-235. Bei einem Anteil von 0,7% U-235 am Natururan entspricht dies einer Masse von rund 200 t Uran in natürlicher Zusammensetzung.
Wollte man die gleiche Energie durch Verbrennung von Steinkohle zur Verfügung stellen, so müssten etwa 3,4 Mio t Steinkohle verbrannt werden. Dieser außerordentlich große Unterschied beim Masseeinsatz zur Wärmeerzeugung ist ein wichtiges Argument der Befürworter der Kernenergie.
Die Kettenreaktion
Bei der Spaltung eines U-235-Kerns wird jedoch nicht nur Energie frei, sondern es werden auch Neutronen freigesetzt. Dieses Phänomen wurde von den Physikern Hahn und Strassmann vorhergesagt und Ende der 30-er Jahre experimentell bestätigt. Als Modell kann man sich eine Kettenreaktion wie in der Abbildung dargestellt vorstellen.
Im Mittel werden jedoch nicht zwei, sondern 2,3 Neutronen pro Kernspaltung freigesetzt.
Diese könnten jeweils wiederum eine Kernspaltung auslösen. Damit käme es zu einem lawinenartigen Anwachsen der Spaltvorgänge und damit der Energiefreisetzung. Diesen Effekt bezeichnet man als Kettenreaktion. Genau dieser Prozess läuft bei der Explosion einer Atombombe ab.
Da in der natürlichen Strahlung immer auch Neutronen vorhanden sind, könnte ein solcher Prozess spontan ausgelöst werden, wenn bestimmte Randbedingungen erfüllt sind. Dazu zählt insbesondere eine hinreichend große, so genannte kritische Masse an spaltbarem Material. Für U-235 beträgt diese kritische Masse bei kugelförmiger Anordnung des Materials etwa 50 Kg, das entspricht einer Kugel von etwa 8,5 cm Durchmesser. Die kritische Masse wird geringer, wenn durch technische Maßnahmen der Neutronenverlust verringert wird, etwa durch geeignete Reflektoren. Bei der Verwendung anderer Radionuklide als spaltbares Material, etwa Californium, liegen unter bestimmten Bedingungen die kritischen Massen in der Größenordnung einiger 10 Gramm.
Um die Energie kontrolliert freizusetzen muss man dafür sorgen, dass die Kettenreaktion nicht spontan, sondern gesteuert abläuft. Genau das geschieht in einem Kernreaktor.
Die moderierte Kettenreaktion
Die "Kontrolle" der Kettenreaktion geschieht dabei grundsätzlich über die Kontrolle der Neutronenstrahlung. Sofort einsichtig ist die Tatsache, dass, wenn hinreichend viele Neutronen eingefangen werden, keine Kettenreaktion stattfinden kann. Beispielsweise hat Bor eine solche Wirkung als "Neutronenfänger". Wenn also beispielsweise Bor-Stäbe in einen Reaktor eingefahren werden, kommt eine Kettenreaktion umgehend zum Erliegen.
Eine zweite Möglichkeit besteht darin, die Energie der Neutronen zu beeinflussen. Das Wirkprinzip besteht darin, dass niederenergetische (langsame) Neutronen eine Kernspaltung viel besser (mit einer größeren Wahrscheinlichkeit) auslösen, als schnelle Neutronen, wie sie bei der Kernspaltung unmittelbar entstehen. Mit anderen Worten kann man durch die Moderation der Neutronen die Kernspaltung indirekt steuern. Das Prinzip einer solchen gesteuerten Kettenreaktion, wie es in einem Kernreaktor realisiert wird, ist in der nachstehenden Abbildung dargestellt.
Das spaltbare Material ist dabei eingebettet in einen Moderator, der die Energie der entstehenden Neutronen reduziert und damit die Effektivität der Kettenreaktion steuert. Über Steuerstäbe wird zusätzlich durch Neutroneneinfang der Reaktor gesteuert und im Gefahrfall heruntergefahren. Die entstehende Wärme wird über ein Kühlmedium nach außen abgeführt und der gesamte Reaktor ist hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen.
Wird als Moderator Wasser verwendet, kann dieses gleichzeitig zwei Aufgaben erfüllen: Die des Moderators und die der Kühlung (Wärmeabfuhr). Ein so konstruierter Reaktor hat damit gleich noch eine zusätzliche Sicherheitseigenschaft: Erwärmt sich der Reaktor zu stark, wird automatisch auch die Moderatorfunktion des Wassers schlechter erfüllt und der Wirkungsgrad der Kettenreaktion verringert sich. Dies ist in der folgenden Abbildung verdeutlicht:
Der Effekt wird noch weiter ausgeprägt, wenn das Wasser siedet und sich Dampfblasen bilden. In diesem Fall kommt der Reaktor fast zum Stillstand, da die Moderatorfunktion kaum noch erfüllt wird. Man spricht bei diesen Reaktoren von einem so genannten "negativen Dampfblasenkoeffizienten" als einem wichtigen Sicherheits-Konstruktionsmerkmal.
Technische Realisierung von Kernkraftwerken
Zwei Konstruktionstypen von Kernkraftwerken sind heute weit verbreitet - die so genannten Siedewasser-Reaktoren und die Druckwasser-Reaktoren (siehe nachstehende Abbildungen).
Siedewasserreaktor
Der Hauptunterschied besteht darin, dass bei den Druckwasser-Reaktoren noch ein Zwischen-Wärmetauscher in den Wärmekreislauf integriert ist. Ein Beispiel für einen Siedewasser-Reaktor ist das Kernkraftwerk Krümmel mit einer Leistung von 1 316 MW(el.)
Die Brennelemente, die das Urandioxid enthalten, befinden sich in dem zu etwa zwei Drittel mit Wasser gefüllten Druckbehälter. Das Wasser strömt von unten nach oben durch den Reaktorkern und führt dabei die in den Brennstäben entwickelte Wärme ab. Ein Teil des Wassers verdampft.
Nach einer Dampf-Wasser-Trennung im oberen Teil des Druckbehälters wird der Sattdampf mit einer Temperatur von rund 290 °C und einem Druck von ca. 70 bar (7 MPa) direkt der Turbine zugeführt. Es sind bis zu 4 500 t Dampf pro Stunde. Die Turbine ist mit einem Drehstromgenerator gekoppelt. Der aus der Turbine austretende Dampf wird im Kondensator verflüssigt. Dazu sind pro Stunde etwa 120 000 m³ Kühlwasser erforderlich, die einem Fluss entnommen werden, oder bei Rückkühlbetrieb aus dem Kühlturmkreislauf stammen.
Druckwasserreaktor
Ein Beispiel für einen Druckwasser-Reaktor ist das KKW Brokdorf mit einer elektrischen Leistung von 1 395 MW. Hier steht das Wasser, damit es bei etwa 320 °C nicht siedet, unter hohem Druck, ca. 16 MPa. Das erhitzte Wasser gibt seine Wärme an Sekundärkreisläufe ab, in denen der Dampf für die Turbinen erzeugt wird. Zur Verflüssigung des aus der Turbine austretenden Dampfes werden 208 000 m³ Kühlwasser pro Stunde der Elbe entnommen.
Der Vorteil eines Druckwasser-Reaktors besteht darin, dass die Dampfturbinen nicht mit radioaktiv kontaminiertem Wasser in Berührung kommen und damit nicht in das Sicherheitscontainment integriert werden müssen.
Ein dritter Reaktortyp soll an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden: Der schnelle Brutreaktor. Es ist dies ein Kernreaktor, dessen Kettenreaktion durch schnelle Neutronen aufrechterhalten wird und der mehr spaltbares Material erzeugt als er verbraucht. Der Brutstoff U-238 wird unter Neutroneneinfang und zwei nachfolgende Beta-Zerfälle in den Spaltstoff Pu-239 umgewandelt. Die Kernspaltung erfolgt zur Erzielung eines hohen Bruteffekts praktisch ausschließlich mit schnellen Neutronen.
Da die Neutronen möglichst wenig abgebremst werden sollen, scheidet Wasser als Kühlmittel wegen seiner Bremswirkung aus. Deshalb wird Natrium, das bei Temperaturen oberhalb 97,8 °C flüssig ist, in diesem Fall als Kühlmittel verwendet. Der Schnelle Brüter kann das Uran bis zu 60fach besser ausnutzen als die Leichtwasserreaktoren. Im Ergebnis entsteht aber auch hochgiftiges Plutonium, welches auch zur Herstellung von Kernwaffen geeignet ist.
Kernkraftwerke in Deutschland
In Deutschland sind (Stand 06/2003) 19 Kernkraftwerke mit einer elektrischen Bruttoleistung von 22 365 MW in Betrieb. Im Jahr 2002 erzeugten sie 164,8 Mrd. kWh elektrischen Strom, das entspricht einem Anteil von 34 % an der öffentlichen Stromversorgung in Deutschland. Die Zeit- und Arbeitsverfügbarkeit betrug 85,7 %. 16 Kernkraftwerke - insbesondere in den 60er und 70er Jahren errichtete Versuchs-, Prototyp- und Demonstrationsanlagen - wurden bisher außer Betrieb genommen, darunter auch aus allgemeinen Sicherheitsgründen die fünf Blöcke des Kernkraftwerks Greifswald.
Kernkraftwerk | Typ | Nennleistung (brutto) MW | Stromerzeugung 2002 (brutto) GWh |
GKN-1 Neckar | DWR | 840 | 6 672 |
GKN-2 Neckar | DWR | 1 365 | 10 489 |
KBR Brokdorf | DWR | 1 440 | 11 922 |
KKB Brunsbüttel | SWR | 806 | 897 |
KKE Emsland | DWR | 1 400 | 11 862 |
KKG Grafenrheinfeld | DWR | 1 345 | 10 432 |
KKI-1 Isar | SWR | 912 | 7 870 |
KKI-2 Isar | DWR | 1 475 | 12 166 |
KKK Krümmel | SWR | 1 316 | 8 854 |
KKP-1 Philippsburg | SWR | 926 | 6 896 |
KKP-2 Philippsburg | DWR | 1458 | 11 650 |
KKS Stade (11/2003 stillgelegt) | DWR | 672 | 4 948 |
KKU Unterweser | DWR | 1 410 | 7 114 |
KRB B Gundremmingen | SWR | 1 344 | 10 503 |
KRB C Gundremmingen | SWR | 1 344 | 10 825 |
KWB A Biblis | DWR | 1 225 | 6 558 |
KWB B Biblis | DWR | 1 300 | 10 745 |
KWG Grohnde | DWR | 1 430 | 11 428 |
KWO Obrigheim (05/2005 stillgelegt) | DWR | 357 | 2 996 |
DWR: Druckwasserreaktor; SWR: Siedewasserreaktor
Kernkraftwerke in Europa und weltweit
Mit Stand vom Juni 2003 waren in 19 europäischen Ländern insgesamt 210 Kernkraftwerksblöcke mit einer installierten elektrischen Nettoleistung von zusammen 171 910 MW in Betrieb und in vier Ländern zehn Blöcke mit 8 056 MW in Bau. In den Ländern der Europäischen Union werden rund 35% des Stroms aus Kernenergie erzeugt. Im Jahr 2002 lag Frankreich mit einem Anteil von 78% an der EU-Spitze, gefolgt von Belgien mit 57,3% und Schweden mit 45,7%. Deutschland und Finnland folgen mit jeweils rund 30% Stromanteil. Weltweit waren im Juni 2003 nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation in 31 Ländern 437 Kernkraftwerksblöcke mit einer installierten elektrischen Nettoleistung von 358 461 MW in Betrieb. Die weltweite Stromerzeugung aus Kernenergie betrug im Jahre 2002 netto rund 2 574 Milliarden kWh.
Die Abbildungen stammen aus Kernenergie Basiswissen von Martin Volkmer, Informationskreis Kernenergie, 2003